Gründen in der Pandemie

Unternehmensgründungen füllen einen Wirtschaftsstandort mit neuem Leben. Die Corona-Krise hat das Gründungsgeschehen vorübergehend verlangsamt, aber sie hat es auch verändert: Die Start-ups sind oft digitaler, nachhaltiger und robuster aufgestellt als in der Vergangenheit.

Wer ein Unternehmen gründet, rechnet mit vielen Herausforderungen, aber nicht unbedingt mit einer Pandemie. Als sich das Ausmaß der Corona-Krise abzeichnete, verfiel das Gründungsgeschehen in Bremen daher in eine Schockstarre. „Zwischen März und Mai 2020 gingen die Aktivitäten fast auf null herunter“, sagt Piet de Boer, Existenzgründungsexperte bei der Handelskammer Bremen.

Bereits im Sommer gab es jedoch einen starken Nachholeffekt und mittlerweile bewegen sich die Gründungen fast wieder auf Vor-Corona-Niveau. Die schwere Zeit hat allerdings Spuren hinterlassen: Viele Gründerinnen und Gründer haben Substanz eingebüßt, einige mussten ihre Pläne ändern. Die Krise hat auch zu einem Kurswechsel geführt: Die Wahl der Branchen und Strategien fällt jetzt oft anders aus als vor der Pandemie.

„Finanzierung ist ein sensibles Thema“

Das Existenzgründungsteam der Handelskammer bietet individuelle Beratung beim Gründungsvorhaben an, wobei ein Schwerpunkt auf organisatorischen Fragen zum Gründungsprozess liegt. Beispielsweise geht es oft um Behördenkontakte, Erlaubnisse und Qualifikationsnachweise, aber auch um eine Orientierung zu den möglichen Rechtsformen. Auch branchenspezifische Fragen werden oft an die Kammermitarbeiter herangetragen. „Finanzierung ist für viele Start-ups im Moment ein sensibles Thema“, hat de Boer festgestellt. „In den Anfragen zeigt sich im Moment, dass Gründer vermehrt Sorgen haben, nicht an Geld zu kommen, weil sie schon Absagen von Geldgebern erhalten haben.“

Diese Beobachtung teilt Petra Oetken, Leiterin des Starthauses Bremen. „Finanzierungen werden teilweise nicht abgeschlossen, weil die Geldgeber selbst erst einmal abwarten wollen, wie sich die eigene Lage entwickelt“, berichtet sie. Bereits vor der Pandemie war die Lage nicht besonders rosig: Im Deutschen Start-up Monitor 2019 beurteilten die Gründerinnen und Gründer den Zugang zu Investoren in Bremen weniger gut als der bundesweite Durchschnitt – insgesamt 45 Prozent fanden ihn damals schon schwierig oder sehr schwierig.

Kundenakquise erschwert

Das Starthaus, ein Segment der Bremer Aufbau-Bank, bündelt zahlreiche Aktivitäten der Existenzgründungsförderung. „Wir betreuen die ganze Bandbreite der Start-ups, sowohl bezüglich der Branchen als auch hinsichtlich des Entwicklungsstands“, sagt sie. „Das reicht von den ersten Schritten auf dem Weg zum Start-up bis zu fünf Jahren nach der Gründung.“

Rund 1500 Anfragen erhält das Starthaus pro Jahr – 2020 fiel dieser Wert auf 1200. „Inzwischen haben sich aber fast alle auf die Situation eingestellt“, berichtet Oetken. „Die Leute schauen jetzt, wie sie die Gründung trotzdem schaffen.“

Neben der Finanzierung drohen dabei weitere Hürden. „Die Kundenakquise ist schwierig“, sagt Oetken. Gerade in der Startphase seien persönliche Kontakte bei der Akquise wichtig. Dies betreffe besonders diejenigen Start-ups, die ein größeres Projekt benötigen, um ihr Geschäftsmodell zu validieren. Im Home-Office und mit Reisebeschränkungen sei das oft schwierig.

Aufgrund dieser Situation wurden Webshops und andere Online-Angebote noch wichtiger als zuvor. Die Gründerinnen und Gründer fanden aber auch weitere kreative Lösungen, beispielsweise den Aus-dem-Fenster-Verkauf oder die Instagram-Modenschau, in der die Kleidungsstücke live vorgeführt werden, damit die Interessenten nicht nur auf Basis der Fotos im Online Shop entscheiden müssen.

Gründer geben nicht auf, sondern satteln um

Teilweise haben die Gründerinnen und Gründer aufgrund der Pandemie ihren Fokus gewechselt – so wie Francisco Iglesias Carbajales, der statt eines Restaurants erst einmal ein Spezialitätengeschäft eröffnete (s. Seite 21). Sowohl Petra Oetken vom Starthaus als auch Piet de Boer von der Handelskammer haben beobachtet, dass sich gleichzeitig ein Trend deutlich beschleunigt, der bereits in den vergangenen Jahren begonnen hatte: Zum einen werden digitale Geschäftsmodelle populärer, die ein dezentrales Arbeiten und Einkaufen ermöglichen. Zum anderen steht Nachhaltigkeit bei vielen Start-ups sehr stark im Vordergrund – vom Friseurgeschäft, das nur auf vegane Produkte setzt, bis zum Bestattungsunternehmen, das Bio-Urnen anbietet und den „Sondermüll“ im Körper fachgerecht entsorgt, beispielsweise Amalgamfüllungen.

Oetken hat aufgrund der Erfahrungen aus dem letzten Jahr einige Tipps für Gründungsinteressierte: „Hilfreich ist die Bereitschaft, das Gründungsmodell fortlaufend anzupassen. Start-ups brauchen Mut und Flexibilität, aber auch eine gute Vorbereitung. Die Finanzierung sollte auf sicheren Beinen stehen.“ Gleichzeitig könne es sein, dass Gründerinnen und Gründer jetzt von einer besonders hohen Nachfrage profitieren werden, beispielsweise in der Gastronomie, wenn Restaurants wieder öffnen. „Ich kann grundsätzlich nur für das Thema Gründung werben“, betont sie. „Die Zeiten sind herausfordernd, aber auch eine Chance.“

Weitere Informationen

Kontakte:

Piet de Boer, Tel. 0421 3637-264
deboer@handelskammer-bremen.de

Petra Oetken, Tel. 0421 9600-372
info@starthaus-bremen.de

Gründungsberatung der Handelskammer:
www.handelskammer-bremen.de/gruendungsberatung

Starthaus:
starthaus-bremen.de