Ein Kaufhaus muss schließen. Kein Grund zum Jubeln, oder? In Bremerhaven löste das Ende der Karstadt-Filiale nach kurzem Schock eine neue Aufbruchstimmung aus. Der anstehende Abriss des einstigen Frequenzbringers in der Fußgängerzone ebnet den lang erhofften Weg, der Innenstadt neuen Glanz und zusätzliche Anziehungskraft zu verleihen.
An einem Herbsttag mit Aussicht auf Nieselregen in der City zu bummeln, dürfte in vielen Städten keine gute Idee sein – außer in Bremerhaven. Glasdächer über den Schaufenstern schützen die Passanten in der Fußgängerzone – landläufig kurz Bürger genannt – vor den Unbilden des Wetters. Zudem lässt die gelegentlich aufblitzende Sonne die verbliebenen Blätter an den Alleebäumen vor den Geschäften in warmen Farben erstrahlen. Doch etwa in der Mitte der knapp einen Kilometer langen Einkaufsmeile wird es finster. Unvermittelt ragt ein dunkles Betongebäude empor. Die bunten Aufkleber auf den leeren Schaufensterscheiben mit der Aufschrift „Herzenssache Innenstadt“ können den düsteren Eindruck nicht verdrängen.
Bald könnten die auf den Plakaten mit fröhlicher Miene abgebildeten Einzelhändler jedoch auch in der Realität Grund zum Lachen haben. Das leere Gebäude ist das ehemalige Kaufhaus Karstadt. Die Stadt Bremerhaven hat es mit Hilfe des Landes gerade samt Grundstück für 15 Millionen Euro gekauft: „Nun ist es möglich, einen dicken faulen Zahn in unserer Innenstadt zu ziehen“, sagte Oberbürgermeister Melf Grantz erleichtert nach Abschluss des Kaufvertrags. „Das ist ein wichtiger Schritt für die weitere Entwicklung des Oberzentrums Bremerhaven.“
Der Abriss des Kaufhaus-Gebäudes und der folgende Neubau könnte den Beginn einer Zeitenwende für die Bremerhavener Innenstadt und den dortigen Einzelhandel bedeuten. Vor gut 22 Jahren hatte die Stadt das letzte Mal in die schnurgerade Meile investiert und der Mitte der 1980er Jahre geschaffenen Fußgängerzone ein neues Gesicht gegeben. Doch die aufwändigen kosmetischen Korrekturen wurden durch die wirtschaftsstrukturellen Probleme der Stadt konterkariert, die 2005 in einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent gipfelten. Der damalige Kaufkraftschwund setzte dem innerstädtischen Einzelhandel kräftig zu – eine wachsende Zahl an Leerständen in der Ladenzeile war die Folge.
Hoher Bestand an Fachhändlern und Markengeschäften
Große Hoffnungen ruhten auf den neuen touristischen Attraktionen am Deich, die mittlerweile Jahr für Jahr Zigtausende von auswärtigen Gästen in die Stadt locken. „Unsere Gäste besuchen erst das Auswandererahaus, den Zoo oder das Klimahaus. Dann möchten sie einen Schritt weitergehen und noch etwas einkaufen“, erklärt der Bremerhavener Einzelhändler und Vize-Präses der Handelskammer Bremen, Stephan Schulze-Aissen. Das Problem: Die Havenwelten und die Innenstadt sind durch die Columbusstraße und das Columbus-Center voneinander getrennt. Längst nicht alle einkaufswilligen Besucher finden die Fußgängerzone und bleiben im früheren Einkaufszentrum Mediterraneo – heute „Mein Outlet & Shopping Center“ – gleich neben dem Klimahaus oder schaffen es wenigstens bis in die Mall des Columbus-Centers, das über eine Glasbrücke mit den Havenwelten verbunden ist.
Die Stadtwerber der Erlebnis Bremerhaven GmbH und die Wirtschaftsförderer versuchen mit Hinweisschildern „Zum Stadtspaziergang“ den Brückenschlag zu unterstützen. Zumindest im Verhältnis zwischen den Händlern diesseits und jenseits der Columbusstraße scheint es gelungen zu sein. Seit einem Jahr bündelt Claudia Bitti im Verein City-Skipper Bremerhaven e.V. die Interessen aller Einzelhändler in der Innenstadt einschließlich Havenwelten: „In der Gesamtheit haben wir einen sehr hohen Bestand an Fachhändlern und Marken-Geschäften, der sich im Vergleich zu anderen Einzelhandelsstandorten sehen kann“, korrigiert die hauptamtliche City-Managerin das verbreitete Vorurteil, der Bremerhavener Handel habe zu wenig zu bieten. Auch den Eindruck, in der Fußgängerzone gebe es viele Leerstände, lässt sie nicht unwidersprochen: „Hier sind praktisch keine Geschäftsflächen mehr verfügbar.“ Offenbar hat die Corona-Pandemie eine Renaissance der Einkaufsstraße und eine Abkehr von Indoor-Einkaufszentren bewirkt: „Viele Händler haben erkannt, wie wichtig der direkte Zugang der Kunden von außen für sie ist.“
Der Online-Handel hat ohnehin im Bundersdurchschnitt nur einen Anteil von etwa 12 Prozent am gesamten Einzelhandelsvolumen. Doch die Länge der Fußgängerzone sowie die mangelnde Verbindung zwischen Havenwelten und der Innenstadt begrenzen die Möglichkeiten, die historisch aus drei Kommunen entstandene Stadt Bremerhaven als ein Zentrum sichtbar zu machen. „Jetzt gibt es ein perfektes Zeitfenster für die Weiterentwicklung und Optimierung der städtebaulichen Struktur, das wir unbedingt nutzen müssen“, betont Stephan Schulze-Aissen.
In dieser Gemengelage ist das Karstadt-Gelände das Scharnier, das räumlich die Innenstadt und die Havenwelten – und im übertragenen Sinn Problem und Lösung in der City – miteinander verbindet. Durch das Gebäude verläuft der einzige direkte Weg von den Havenwelten in die Stadtmitte. Deswegen hatte die Stadt bereits beim großen Umbau der „Bürger“ und verstärkt seit der Eröffnung der Havenwelten mit dem Karstadt-Konzern über eine attraktivere Gestaltung dieses Weges verhandelt – vergebens. Entsprechend groß war das Entsetzen, als sich die neuen Inhaber von der Filiale in Bremerhaven trennen wollten. Dass das Gebäude zunächst an einen Investor aus den USA verkauft wurde, erhöhte den Schrecken und erklärt, warum der Oberbürgermeister sich mit Energie und Beharrlichkeit gegenüber den Amerikanern um den Erwerb des Geländes bemühte.
Der vergleichsweise hohe Preis für das Gelände lässt sich durch die besondere Bedeutung des Grundstücks begründen: Es ist das fehlende Stück in einem Puzzle aus Grundstücken, die künftig gemeinsam das Schlüsselelement für die neue Bremerhavener Mitte bilden. Das Eulenhof-Grundstück zwischen Karstadt, der Columbusstraße sowie dem roten Backsteinbau des früheren Bankhauses Neelmeyer sowie das Gebäude des früheren Finanzamtes Bremerhaven bieten aktuell weiteren Spielraum, der der Stadt für eine Verbindung zwischen City und Havenwelten geblieben ist.
Achsen zum Wasser sind versperrt
Der Hamburger Architekt Andreas Heller hat schon frühzeitig Gedanken und erste Skizzen entwickelt, wie dieser Spielraum genutzt werden kann. Als Schöpfer und Gestalter des Deutschen Auswandererhauses und des benachbarten Hotels „The Liberty“ kennt er sich in Bremerhaven bestens aus – und hat deshalb erkannt, dass es jetzt um mehr als eine neue Bebauung eines innerstädtischen „Sahnestücks“ geht. „Bremerhaven ist eine Stadt am Wasser“, betont Heller. Die ursprüngliche Stadtarchitektur besteht deswegen neben den Hauptachsen in Nord-Südrichtung aus zahlreichen Querspangen zwischen der Geeste im Osten und der Weser im Westen. Nur: Diese Querachsen sind zu einem großen Teil durch die derzeitige Bebauung versperrt.
Dank der Havenwelten bekam Bremerhaven wieder einen ersten Zugang zum Wasser – jetzt geht es Heller darum, diesen bis in die Innenstadt zu erweitern. Auf dem Karstadt-Grundstück kann sich Heller eine Art Markthalle vorstellen, in der Food- und Nonfood-Artikel verkauft werden und in der es gastronomische Angebote gibt – allerdings in neuen Formen der Warendarbietung und zudem mit einem Schwerpunkt auf Produkten aus der Region. Gleich nebenan könnte ein kleiner Park und eine sichtbare und begehbare Verbindung zwischen Havenwelten und Innenstadt entstehen.
Seine Botschaft: „Es darf keine Rückseite geben.“ Deshalb möchte der kreative Planer die Straße Am Alten Hafen aus ihrem dunklen Dasein zwischen dem Columbus-Center und den Geschäftshäusern in der „Bürger“ befreien. Heller denkt in Details und großen Zügen zugleich. Auch in der City möchte er die Querspangen betonen – und zusätzlich eine weitere Stärke Bremerhavens: Die Stadt gehört zu den wenigen deutschen Kommunen, deren Innenstadt tatsächlich bewohnt ist. Heller möchte das sichtbar machen: „Wie wäre es mit einem Programm der 100 Balkone?“ wirft er eine Idee in den Raum, um die Lebendigkeit der Innenstadt auch nach außen sichtbar zu machen.
Investoren stehen für die Realisierung der Überlegungen Hellers schon bereit. Der Medien-Unternehmer Matthias Ditzen-Blanke hat bereits sein Interesse angemeldet. Auch der in Hamburg lebende Bremerhavener Ehrenbürger und Beteiligungsspezialist Karl Ehlerding zieht ein Engagement in Erwägung.
Einzelhändler sehen Pläne überwiegend positiv
Bei den Einzelhändlern stoßen die Vorschläge grundsätzlich auf Zustimmung; manch einer hat sich bereits ähnliche Gedanken wie Heller gemacht. Julia Wohlers, die am südlichen Zugang zur „Bürger“ die „Goldschmiede Oellerich“ betreibt, wünscht sich mehr Spielangebote für Kinder sowie mehr Grünflächen in der Innenstadt: „Die Aufenthaltsqualität in der City muss besser werden“, argumentiert sie. Dazu zählt sie auch gastronomische Angebote wie einen „Foodcourt“ im seit dem Auszug von Saturn halb leerstehenden HanseCarré sowie ein verbessertes Einkaufsangebot: „In der Innenstadt fehlen ein Lebensmittel- und ein Drogeriemarkt.“
Ähnlich argumentiert auch der Weinhändler Lutz Jacob, der Weine, Whiskey, Essig und Öl in der Fußgängerzone „Vom Fass“ verkauft. Ein großer Teil seiner Kunden kommt aus dem unmittelbaren Umland – deswegen verweist Jacob auf ein ganz praktisches Problem: „Wir haben zu wenig Parkplätze in der Innenstadt.“ Die Käuferschichten aus dem Umland sind ein wesentlicher Faktor für den Standort Bremerhaven: „Durch sie ist die tatsächliche Kaufkraft in der Stadt viel höher als die auf das reine Stadtgebiet bezogenen Statistiken aussagen.“
„Wir müssen den Mut haben, Dinge neu zu denken“, fasst City-Managerin Claudia Bitti die jetzt vor der Stadt liegenden Aufgaben zusammen. An den Einzelhändlern werde der Schritt in die Zukunft nicht scheitern, ist sie überzeugt: „Sie sind bereit, gemeinsam an einer größeren Attraktivität zu arbeiten.“ Ein erstes Beispiel wird sich in der Vorweihnachtszeit zeigen: In den Schaufenstern von 25 Geschäften werden verschiedene Künstler ihre Interpretation der traditionellen Weihnachtskrippe zeigen. „Man muss den potenziellen Kunden einen Anlass geben, auch einfach mal so ins Schaufenster zu schauen“, sagt die City-Skipperin. Schlechtes Wetter zählt in Bremerhaven dabei dank der einheitlichen Glasdächer vor den Läden nicht als Ausrede.