Mehrere 100.000 Arbeitsplätze pro Jahr hängen bundesweit an einer erfolgreichen Übergaberegelung. Die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer beschäftigen sich jedoch zu spät mit dem Thema.
Wer mit beiden Beinen im Berufsleben steht, womöglich noch als Inhaber, der ist es gewohnt, an morgen zu denken, in der Regel auch noch an übermorgen – aber an das Ende der eigenen Tätigkeit verschwenden die wenigsten ihre Gedanken, vor allem in Verbindung mit der Frage: Wer übernimmt meine Nachfolge? „Zumindest wird sehr oft zu spät daran gedacht“, sagt Piet de Boer, der in der Handelskammer Bremen für Existenzgründungen und Nachfolgeregelungen zuständig ist. Auch sei das Thema Unternehmensnachfolge in der Öffentlichkeit nicht so verankert, wie es sein könnte – oder sein sollte. „Wenn mehr Menschen wüssten, was alles daran hängt, würden sie sich vermutlich eher Gedanken machen“, so de Boer weiter. Aber was hängt alles daran? Der Versuch einer Bestandsaufnahme.
Irgendwann kommt er eben doch, der Moment: Jahrelang war man für das eigene Unternehmen tätig – und plötzlich ist er da, man denkt ans Aufhören. Was dabei oft nicht bedacht wird: Es braucht seine Zeit, einen geeigneten und noch dazu solventen Nachfolger zu finden, dem man es zutraut, das Unternehmen auch im Sinne der Mitarbeiter fortzuführen.
Auswirkungen auf bis zu 500.000 Beschäftigte pro Jahr
Die Statistiken zum Thema variieren je nach Fokus, Zeitraum und Methodik. Nach Berechnungen der KfW-Bankengruppe aus dem Jahre 2019 lag die Zahl der Unternehmen, die innerhalb von zwei Jahren einen Nachfolger suchten, bei rund 227.000. Bei Familienunternehmen kommt es laut Institut für Mittelstandsforschung (IfM), das seit Beginn der 1990er Jahre in regelmäßigen Abständen die Zahl der anstehenden Unternehmensübertragungen in Deutschland schätzt, in einem Vierjahres-Zeitraum zu rund 150.000 Übertragungen. Andere Schätzungen für sämtliche Betriebe weisen noch höhere Zahlen auf, mit Auswirkungen auch auf fast 500.000 Beschäftigte pro Jahr.
Bei der Unternehmensnachfolge gibt es drei verschiedene Optionen: Nach Berechnungen des IfM übergeben mit 53 Prozent rund die Hälfte der Eigentümer ihr Unternehmer an die eigenen Kinder oder an andere Familienmitglieder – die familieninterne Lösung liegt bei den Möglichkeiten der Unternehmensnachfolge also gegenwärtig immer noch an der Spitze, war aber zuletzt etwas rückläufig. Hier verschiebe sich gerade manches, so de Boer – noch vor ein paar Generationen sei es völlig klar gewesen, dass die Kinder das Unternehmen fortführen würden, heute stoßen entsprechende Pläne der Elterngeneration oft auf heftige Ablehnung.
Fast 30 Prozent der Übertragungen erfolgen an externe Führungskräfte, andere Unternehmen oder andere Interessenten von außerhalb. Piet de Boer: „Hier gibt es Chancen, neue Sichtweisen in das Unternehmen einzubringen, eine eigene Handschrift zu entwickeln“.
Die dritte Option ist die Übergabe des Unternehmens an eigene Mitarbeiter; diese Zahl macht 18 Prozent der Gesamtmenge aus. In Bremen sind es etwa 1200 Unternehmen pro Jahr, die die Nachfolge bestimmen wollen oder müssen. „Die Unternehmensnachfolge rückt mehr in den Fokus“, sagt Piet de Boer, „endlich, denn es ist so ein wichtiges Thema.“ Es sei eben auch nicht so einfach, die geeigneten Kandidatinnen oder Kandidaten zu finden.
Wichtig, die richtigen Fragen zu stellen
Einer, der das bestens aus eigener Anschauung weiß, ist Nils Koerber, der seine Beratergruppe „KERN“ im Jahre 2004 gegründet hat – aus der Erfahrung seines Familienunternehmens heraus. KERN hat sich bundesweit auf die Unternehmensnachfolge konzentriert. Koerber agiert als Berater, Mediator und Coach für diejenigen, die abgeben, und diejenigen, die übernehmen. Spezialisiert ist er auf den Verkauf von Familienbetrieben und den Generationswechsel in Unternehmerfamilien.
Es gehe bei diesem Thema vor allem darum, die richtigen Fragen zu stellen, sagt Koerber, etwa: „Bin ich mit meiner Lebenssituation zufrieden? Gibt es vielleicht Anzeichen dafür, dass ich mich durchschleppe?“ Rechtzeitiges Nachdenken über Gesundheit, Stolpersteine, Potenziale sei wesentlich, so der Berater weiter, der seit den 80er Jahren – schon vor KERN – über 1000 Nachfolgefälle bearbeitet hat. Jeder, der sich irgendwann einmal mit dem Thema auseinandersetzen müsse, sollte sich möglichst frühzeitig diese Fragen stellen.
Generell tue sich die Übergebergeneration schwer, sagt Koerber, „da geht es oft um emotionale Dinge.“ Wichtig sei ihm, „dass wir win-win kreieren, dass am Ende eben alle zufrieden sind.“ Das sei das eigentlich Entscheidende, so Koerber, und nicht immer nur steuerliche und gewinnorientierte Lösungen. „Oft wird die emotionale Ebene vergessen.“ Wie lange dauert ein solcher Übergabeprozess? „Wenn die Entscheidung gefallen ist, etwa ein bis 1,5 Jahre“, sagt Koerber. „80 bis 90 Prozent der Sachen klappen“, sagt er, aber: „Manchmal braucht es länger.“
Männern fällt das Loslassen schwer
Wenn es scheitert – woran scheitert es? „Das kann verschiedene Gründe haben – häufig spielt das Ego eine Rolle, dass etwa das Loslassen nicht gelingt. Gerade bei Männern ist es so, dass es ihnen schwerfällt – wenn das gesamte Umfeld über Jahrzehnte durch die Firma bestimmt wurde und man plötzlich loslassen soll.“
Natürlich sei auch die Finanzierung ein häufiger Grund für das Scheitern einer Verhandlung, so Koerber: „Es kommt vor, dass die Verkaufspreise rosarot gedacht und damit nicht realistisch sind – und bisweilen spielen auch die Banken nicht mit.“ Das Thema Eigenkapital sei von großer Bedeutung. Schließlich gebe es die Fälle, in denen man sich grundsätzlich einig ist, Vertrauen da ist, aber das Geld einfach nicht reiche.
Andersherum: Wenn das Unternehmen gesund ist, die Struktur für das Geschäftsmodell funktioniert und Perspektiven für die Zukunft vorhanden sein, dann seien die Aussichten gut – wenn sich „Übergeber“ und „Übernehmer“ dann auch über die Übergabemodalitäten verständigen.
So, wie im Falle der Firma IT-Supplies geschehen – noch heute tauschen sich „Übernehmer“ und „Übergeber“ aus, ab und zu hilft der Übergeber sogar noch aus. „Ein Idealfall“, sagt Geschäftsführer Florian Heinemann. Heinemanns Entscheidung für die Unternehmensübergabe ist trotz durchaus vorhandener – und ihm bewusster – Risiken keineswegs typisch; die Risikobereitschaft sei wesentlich weniger ausgeprägt als in früheren Generationen, sagt Pier de Boer – „leider“. Das betreffe auch den Gründungsbereich.
Gesamtes Netzwerk betroffen
„Das Thema hat viele Ebenen“, so de Boer: „Es ist bei Unternehmen erstaunlich zu beobachten, wie vielschichtig die Prozesse sind.“ Oft werde bei anstehenden Übernahmen zu wenig berücksichtigt, dass nicht nur die Inhaber betroffen sind, sondern eben auch die Belegschaft, Kunden, Lieferanten, weitere Geschäftsverbindungen – das gesamte Netzwerk.
Dazu sei zuletzt die Corona-Pandemie gekommen, die verschiedene Bereiche wie die Gastronomie, den Einzelhandel oder die Veranstaltungsbranche in eine Schockstarre versetzt habe. „In dieser Phase ist kaum jemand auf die Idee gekommen, eine Firma zu gründen oder sich um die Nachfolge zu kümmern.“
Von deutlichen Auswirkungen auf die Unternehmensnachfolge im Mittelstand schreibt auch der DIHK in seinem Report Unternehmensnachfolge 2020. Viele Senior-Chefs verschieben Entscheidungen zur Übergabe des Betriebs. Jetzt zieht es aber wieder an: Die Zahl seiner angefragten Gespräche gehe deutlich nach oben, sagt de Boer, „weil viele während dieser Zeit auch Chancen entdeckt haben“.