Nach der erfolgreichen Mond-Mission Artemis 1 und der ESA-Ministerratskonferenz im November geht die Bremer Raumfahrt-Branche mit viel Auftrieb in das Jahr 2023. Dabei verankert sie sich auch zunehmend in anderen Branchen.
Technologien aus der Raumfahrt sind im täglichen Leben angekommen: Während früher oft die Erfindung der Teflonpfanne als Beleg für den angewandten Nutzen der Weltraumexploration herhalten musste, was allerdings schon damals nicht stimmte, lassen sich heute kaum noch die Vorteile von satellitenbasierten Navigations- und Telekommunikationsdiensten bestreiten. Auch akkurate Wetterberichte und Klimadaten sind keine teure Spielerei. Neben Privatpersonen profitieren vielfältige Branchen wie Logistik und Landwirtschaft davon – sowie sämtliche Unternehmen, die auf verzweigte Lieferketten angewiesen sind.
Mit zunehmenden Anwendungsfällen wachsen auch die Investitionen in die Raumfahrt. Die weltweiten staatlichen Ausgaben werden laut Statista in diesem Jahrzehnt von 72 Milliarden Dollar (2010 bis 2019) auf 121 Milliarden Dollar (2021 bis 2029) steigen. In die private Raumfahrt sind seit 2014 nach Angaben des Risikokapital-Fonds Space Capital mehr als 260 Milliarden Dollar geflossen, die Hälfte davon in den USA, weitere 30 Prozent in China.
Aber auch Europa stärkt weiter seine Aktivitäten in der Raumfahrt. Die 22 Ministerinnen und Minister, die in ihren jeweiligen Ländern für die Europäische Raumfahrtagentur ESA verantwortlich sind, beschlossen im November gemeinsame Ausgaben in Höhe von 16,9 Milliarden Euro – ein Plus von 17 Prozent gegenüber dem letzten Treffen vor drei Jahren.
Deutschland trägt davon rund 4 Milliarden Euro. Da ein großer Teil der Einzahlungen in Form von Aufträgen wieder in die einzelnen Länder zurückfließt, können auch Bremer Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit umfassenden Projektfinanzierungen rechnen. „Bremen ist das Bundesland mit der höchsten Dichte an Luft- und Raumfahrtaktivitäten in Deutschland“, erklärt der Raumfahrtkoordinator des Landes Bremen, Siegfried Monser. „Somit hat im Grunde jede ESA-Ministerratskonferenz mehr oder weniger große Auswirkungen.“
Eine Besonderheit Bremens sei die enorme Vielseitigkeit der Raumfahrtaktivitäten, die in Europa höchstens Toulouse in vergleichbarer Form zu bieten habe, so Monser. Das Bundesland verfüge über die drei großen Systemhäuser OHB, Airbus und ArianeGroup, aber auch über Zulieferer wie DSI Aerospace Technologie, Geradts, ZARM Technik, die AES Aircraft Elektro/ Electronik-System GmbH sowie verschiedene kleinere Unternehmen. Ergänzt werde dies durch zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen mit Aktivitäten im Bereich Raumfahrt.
Viel Bewegung bei künstlicher Intelligenz, Digitalisierung und neuen Materialien
Monser, der mittlerweile seit fast zwei Jahren im Amt ist, war zuvor in verschiedenen Führungspositionen für Airbus tätig. Die Rolle des Raumfahrtkoordinators sieht er als Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. „Die Branche ist relativ komplex und nicht immer einfach zu beurteilen“, sagt er. Daher unterstütze er die Landesregierung mit fachlichen Einschätzungen zu Raumfahrtthemen. Eine weitere Aufgabe bestehe in der Abstimmung der bremischen Interessen mit den beiden anderen deutschen Space-Hochburgen Baden-Württemberg und Bayern. „Wir versuchen, gemeinsame Positionen für die Gespräche mit der Bundesregierung zu entwickeln“, berichtet er. Das funktioniere sehr gut – auch parteipolitisch gebe es trotz der unterschiedlichen Konstellationen in den drei Ländern keine Probleme.
Natürlich stünden die Bundesländer gleichzeitig auch im Wettbewerb miteinander, sagt Monser. So habe Bayern beispielsweise ein Raumfahrtprogramm aufgelegt, das Bremen in dem Umfang nicht bewerkstelligen könnte. Das Abwerben von Unternehmen befürchtet er allerdings nicht direkt, denn die laufenden Programme seien schwer zu transferieren. „Aber die Raumfahrt bleibt natürlich nicht stehen“, sagt er. Neben einem zunehmenden Gründungsgeschehen gebe es zurzeit viel Bewegung rund um Themen wie künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Neue Materialien. „Das sind alles Themen, die sich besonders im Umfeld von technischen Universitäten anbieten“, so Monser. „Ich würde mir wünschen, dass es in Bremen noch mehr Gründungen in diesen Bereichen gäbe, als es aktuell der Fall ist. Aber da sind die anderen Länder natürlich allein aufgrund ihrer Größe im Vorteil.“
Bremen hat jedoch auch in diesem Wettbewerb gute Argumente. Die starke Präsenz der Unternehmen und Forschungsinstitute in fast allen relevanten Bereichen – von der astronautischen Raumfahrt über den Satellitenbau bis hin zu Satellitendienstleistungen – sei etwas, „woraus Bremen schöpfen kann“, sagt Monser. Der Start-up-Inkubator ESA BIC leistet direkte Unterstützung in Form von Finanzierung, Räumlichkeiten, Know-how und Kontakten. Auch die weitgehende Alleinstellung als „Bundesland der kurzen Wege“ zahlt sich dabei wieder aus. „Hier ziehen alle an einem Strang“, so Monser. Er sehe jetzt aus nächster Nähe, welche Unterstützung insbesondere das Wirtschaftsressort, aber auch die Senatskanzlei und die Wissenschaftssenatorin für die Branche in Bremen leisteten. „Gerade im Vorfeld der ESA-Ministerratskonferenz im November war das unglaublich wichtig“, betont er. „Da konnten die Ressorts die eine oder andere Tür öffnen.“
Chancen bei der Anwendung von Raumfahrtdaten und -produkten
Als Herausforderungen, aber auch Chancen für den Standort sieht Monser neben der Unterstützung von Start-ups und mittelständischen Unternehmen auch die Sicherung von Fachkräften und die Erhöhung des privatwirtschaftlichen Anteils am Geschäft. Besonders im „Downstream-Sektor“, also bei der Anwendung von Daten und Produkten aus der Raumfahrt, bestehen dafür viele Möglichkeiten. Derartige Projekte werden im Rahmen des bremischen „Luft- und Raumfahrtforschungsprogramms“ gefördert. Unterstützt werden damit aber auch Kooperationsprojekte mit Schwerpunkten in den Bereichen ökoeffizientes Fliegen, Leichtbau und Fertigungsprozesse, künstliche Intelligenz und Satelliten.
Monser sieht weitere wichtige Trends mit guten Geschäftsaussichten. Sicherheit und Verteidigung gewinnen zunehmend an Bedeutung, aber auch die verschlüsselte Kommunikation und das Verkehrsmanagement im Weltall. Eine umfassende Herausforderung für die Entwicklung von Hard- und Software wird darüber hinaus die dringend notwendige Beseitigung von Weltraumschrott werden.
Das Raumfahrtjahr 2023 hält jedoch auch wieder einige ganz konkrete Highlights bereit. Die letzten beiden Ariane-5-Starts mit Oberstufen aus Bremen stehen auf dem Programm – ebenso wie der erste Ariane-6-Start am Ende des Jahres. Der Kommunikationssatellit Heinrich Hertz und der Erdbeobachtungssatellit SARah 2, beide von OHB gebaut, sollen Anfang des Jahres in ihre Umlaufbahnen geschickt werden. Und vom 14. bis 16. November steht wieder die Bremer Messe Space Tech Expo auf dem internationalen Raumfahrtkalender.
Bild oben:
Die NASA-Rakete mit dem Raumschiff Orion und dem europäischen Service-Modul ESM an Bord.
Foto: NASA/Joel Kowsky