„Man darf sich nicht lähmen lassen. Man muss die Perspektiven sehen.“
Die Pandemie betrifft manche Geschäftszweige besonders hart, darunter die Gastronomie. Zum überwiegenden Teil herrscht hier nachvollziehbare, pure Existenzangst – trotz teils sehr guter Konzepte. Von Lethargie ist in Bremens und Bremerhavens Gastronomie-Szene dennoch keine Spur, sie steckt weiter voller Leben. Dass dem so ist, liegt auch am Mut einzelner Unternehmer, die in den letzten Monaten sogar expandiert oder ihr Geschäft erweitert haben.
Wie zum Beispiel Anna-Karina Brenig. Gemeinsam mit Anneke Vogt und Andreas Hoetzel – der unter anderem auch die „Osteria“ an der Schlachte betreibt – hat sie im letzten Jahr die Immobilie des früheren Restaurants „Gian Bastiano“ am Ulrichsplatz im Viertel übernommen. Das Restaurant wurde entkernt, neu eingerichtet und im Januar unter dem Namen „Il Blu“ auch bereits „quasi“ wieder eröffnet – zumindest in der einzigen Form, die in den letzten Monaten möglich war: als Außer-Haus-Verkauf (von Pizzen).
„Mir war immer klar, dass der Standort grandios ist“
Brenig, die auch als Geschäftsführerin der „Feuerwache“ und des „Hafencasinos“ in der Überseestadt agiert, hatte im Winter schon mit einem Glühweinstand auf dem Ulrichsplatz bewiesen, dass sie sich mit aller Kraft gegen die Krise stemmt und mit dieser Neubelebung der Vorweihnachtszeit im Viertel ein positives Beispiel gegeben. Jetzt also das „Il Blu“ – Expansion in Zeiten der Pandemie.
Warum gerade jetzt? „Es gibt ja nie den richtigen Zeitpunkt“, sagt Brenig und führt aus, dass ihr die Immobilie schon dreimal angeboten worden sei: „Mir war immer klar, dass der Standort grandios ist.“ Zweimal habe es nicht richtig gepasst, aber ein drittes Mal habe sie nicht mehr ablehnen können und wollen, „sonst hätte ich mich geärgert“.
Jeder Winkel neu gedacht
Räumlich haben die beteiligten Partner bereits einiges verändert: Sie verkleinerten die Theke und versuchten, „dem Raum insgesamt mehr Wärme zu geben“. Einige der Tische wurden so belassen, andere neu hinzugefügt – jeder Winkel neu gedacht, sodass das Innenleben gänzlich verändert erscheint. Farblich ist der neue Name natürlich Programm: das Restaurant wurde in vielen verschiedenen Blautönen neu gestrichen – die Außenfassade unter anderem in schönem Himmelblau.
Brenig hatte gehofft, deutlich früher aufmachen zu können. Wie kommt sie mit der Situation zurecht? „Ich habe ganz viel positive Energie“, sagt die 45-Jährige lachend. Aber diese Einstellung müsse sie auch vermitteln, alleine schon, um die Mitarbeiter bei der Stange zu halten, die sie komplett übernommen hat.
Zur Ausrichtung der Speisekarte sagt sie: Das „Il Blu“ bleibe der Alltagsitaliener für Familie, Freunde, Geschäftsfreunde. Der Plan ist, durchgehend geöffnet zu haben, neben der Abendkarte auch Frühstück und einen kleinen Mittagstisch anzubieten.
„So ein Schritt kann auch nach hinten losgehen“
Nach vorne schauen auch Ali Korkmaz und Güngör Cerrah. Korkmaz (49), der zu den Urgesteinen der Bremer Gastro-Szene zählt und unter anderem das „Camarillo“ an der Schlachte betreibt, ist seit einigen Monaten auch Geschäftsführer des „Coffee Corner“ am Sielwall. Cerrah steht ihm als beratender Partner zur Seite.
Korkmaz nimmt das Lob zum unternehmerischen Mut gerne an, sagt aber auch: „Wir haben ja alle zu kämpfen und müssen entsprechend vorsichtig sein – so ein Schritt kann auch nach hinten losgehen.“ Andererseits müsse er auch langfristig denken: Das „Coffee Corner“ sei ein Super-Objekt, das auf dem Markt gewesen sei. „Wir müssen die Chancen nutzen, die sich uns bieten“. Er sei Optimist, sagt Korkmaz, sonst hätte er diesen Schritt auch nicht vollzogen: Er wolle diese Haltung auch seinen Angestellten und der Familie vorleben: „Ich habe vier Kinder und möchte positiv sein!“
Zum „Coffee Corner“ berichtet Güngör Cerrah, dass es mit der Vorbesitzerin seit einem Jahr Kontakt gegeben habe. Sie hätten vor allem das große Potenzial gesehen, sagt Korkmaz: „Das Publikum hat sich verändert, so wie die ganze Kaffeekultur – es ist einfach eine gute Chance in einer bombastischen Lage.“ Er habe aber auch das große Glück, dass der Vermieter in Pandemiezeiten die Pacht nicht anrechne, so der erfahrene Gastronom, der im vergangenen Jahr auch das IO Cafe in der Domshofpassage übernommen hat. Sonst wäre es nicht gegangen, fügt er hinzu, und Cerrah ergänzt: „Keiner kann so eine Zeit alleine überstehen – Kreativität reicht ja nicht.“
Viele Gastronomen sind wütend
Güngör Cerrah hat sich mit der Entwicklung diverser Gastronomiebetriebe einen Namen gemacht, darunter „Madame Ho“, „Onkel Ba“, „Jackie Su“, „Vivien Wu“, „Rosalie“ und „Bobby Lane“. Er betreibt zwei Stände in der Markthalle und das „Onkel Ba“ in der Wachmannstraße. Durch seine Funktion als Berater sehe er aber auch viele Gastronomen, „die sauer sind, wütend sind – ich versuche natürlich zu motivieren, bin dann als Berater aber auch ehrlich und sage, dass es manchmal auch besser ist, loszulassen.“ Immerhin sei es heute – anders als früher – möglich, nach einer Insolvenz drei Jahre später wieder durchzustarten.
Auch er beherrsche die Kunst, ein Optimist zu sein, sagt Cerrah, aber: „Ohne Realismus kommt auch der Optimist nicht aus.“ Es gehe schon auch darum, zu gucken, dass man über Wasser bleibt: „Wir Gastronomen kämpfen alle – und brauchen Resultate, damit die Kosten gedeckt werden.“ Entscheidend sei, so Korkmaz: „Man darf sich nicht lähmen lassen. Man muss die Perspektiven sehen.“