Europawahl: Wettbewerbsfähigkeit stärken

Vom 6. bis 9. Juni wählen die EU-Bürgerinnen und -Bürger ihr neues Parlament. Für die Wirtschaft werden in den nächsten fünf Jahren wichtige Weichen gestellt.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Europäischen Union für das Land Bremen zeigt sich in der Außenhandelsstatistik: Der Anteil der EU-Staaten an den Ausfuhren lag zuletzt bei rund 45 Prozent, die Einfuhren machten 40 Prozent aus. Im Jahre 2022 exportierten Unternehmen aus Bremen und Bremerhaven insgesamt Waren im Wert von 9,6 Milliarden Euro in die anderen 26 Mitgliedstaaten.

Dementsprechend äußert sich die große Mehrheit der deutschen Wirtschaft auch wertschätzend über die EU. Eine Umfrage der IHK-Organisation zur europäischen Integration, den Prioritäten der kommenden EU-Legislatur sowie der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa zeigte: Die EU ist den Unternehmen wichtig. Besonders loben sie die politische Stabilität, den gemeinsamen Währungsraum, einheitliche EU-Normen und -Standards sowie den Zugang zu europäischen Märkten.

Allerdings sind große Teile der Wirtschaft mit der aktuellen Entwicklung der EU-Politik unzufrieden. Über die Hälfte der Unternehmen gab an, die Attraktivität des gemeinsamen Wirtschaftsraums als Wirtschaftsstandort habe sich in den letzten fünf Jahren verschlechtert. Den größten Handlungsbedarf für die neue EU-Legislatur sehen die Betriebe bei der überbordenden Bürokratie und der teuren Energieversorgung – gerade bei energieintensiven Branchen bewirken die hohen Energiepreise in der Beschaffung spürbare Produktionsrückgänge. Weitere wichtige Punkte für die Agenda aus Sicht der Befragten sind der Schutz der Unternehmen vor digitalen und analogen Angriffen sowie der strategische Aufbau von Zukunftsindustrien.

Forderungen zur Stärkung der europäischen Wirtschaft

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) richtet daher zehn Forderungen an das EU-Parlament für die Legislaturperiode 2024 bis 2029:

Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung endlich umsetzen:
Möglichkeiten für Bürokratieabbau bestehen an vielen Stellen – etwa bei einheitlichen Meldepflichten bei der Mitarbeiterentsendungs-Richtlinie, der Ausstellung von A1-Bescheinigungen, dem Datenschutz oder der Zertifizierungspflicht bei der Medizinprodukteverordnung. Gleichzeitig sollten künftige Vorhaben unbedingt mit geringeren bürokratischen Belastungen für die Wirtschaft einhergehen und vorab auf diese geprüft werden.

Schnellere Genehmigungsverfahren:
Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen die Genehmigungsverfahren beschleunigen, um wichtige Industrieprojekte voranzubringen. Ein guter Anfang sind die Einrichtung von „One-Stop-Shops“ und feste Zeitlimits für Genehmigungsverfahren, die jedoch für alle Wirtschaftsbereiche umgesetzt werden sollten.

International wettbewerbsfähige Energiepreise in der EU sicherstellen:
Es ist wichtig, Unternehmen unkompliziert zu entlasten, bis ausreichend günstige erneuerbare Energie zur Verfügung steht.

Resilienz von Wertschöpfungs- und Lieferketten erhöhen:
Unternehmen diversifizieren bereits selbst ihre Lieferketten. Wichtig für sie ist aber, durch neue Handels- und Rohstoffabkommen zusätzliche Unterstützung von der EU zu bekommen. Diversifizierungsmaßnahmen der Unternehmen sollten zudem nicht durch Regulierungen wie das Lieferkettengesetz konterkariert werden.

Innovation und Forschung in der EU stärken:
Die öffentlichen Mittel für Innovation und Forschung auf nationaler und EU-Ebene sollten deutlich erhöht werden, um mit führenden Ländern wie Südkorea, den USA und Japan konkurrieren zu können. Zudem müssen Innovationshemmnisse abgebaut und der Transfer von der Forschung in marktreife Produkte verbessert werden.

Handelsabkommen voranbringen:
Gefordert wird eine verbesserte Zusammenarbeit mit internationalen Handelspartnern durch neue Handelsabkommen, einen „Club für kritische Rohstoffe“ und eine gestärkte Welthandelsorganisation. So könnten neue Geschäftsmöglichkeiten entstehen und gemeinsame Regelungen zur Zulässigkeit von Subventionen getroffen werden.

Datennutzung ermöglichen:
Unternehmen benötigen einen innovationsfreundlichen und sicheren Rechtsrahmen, damit sich datenbasierte Geschäftsmodelle in der EU etablieren können. Klare rechtliche Rahmenbedingungen und Leitlinien sind entscheidend, um rechtliche Unklarheiten im „Data Act“ zu klären und den Austausch industrieller Daten innerhalb Europas zu stärken.

Chancen der künstlichen Intelligenz ergreifen:
Europa sollte eine Vorreiterrolle in sicherer und transparenter KI einnehmen. Entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen müssen Innovation fördern und gleichzeitig Sicherheit gewährleisten.

Cybersicherheit stärken:
IT-Produkte, -Dienste,- Infrastrukturen und -Anwendungen sollten von vorneherein über ein angemessenes Sicherheitsniveau verfügen und die Handlungsfähigkeit von Staat, Unternehmen und Anwendern im digitalen Raum sollte sichergestellt werden. Neue gesetzliche Vorgaben sollen das Angemessenheitsprinzip berücksichtigen, um Innovationen nicht zu behindern.

Fachkräfte entwickeln, gewinnen und halten:
Die DIHK fordert eine stärkere Praxisorientierung in der beruflichen Bildung, eine verstärkte Mitwirkung der Betriebe in den Bildungssystemen der EU-Länder, eine intensive Berufsorientierung sowie die Gleichstellung von höherer Berufsbildung und akademischer Bildung. Zudem benötigen Unternehmen effizientere Unterstützung bei der Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte, da derzeitige Verfahren oft langwierig und kompliziert sind.

Bedeutung des EU-Parlaments gewachsen

Das Europaparlament hat im Laufe der Geschichte an Beteiligungsrechten gewonnen und ist heute ein entscheidender Akteur in der EU-Gesetzgebung. Viele Entscheidungen können nur mit Zustimmung des Parlaments getroffen werden. Durch die gemeinsame Haushaltsverabschiedung mit dem Rat ist das Parlament auch an der finanziellen Prioritätensetzung der Union beteiligt.

„In den Unternehmen ist Europa sehr konkret spürbar – und zwar durch eine Regulierungsflut, die immer neue und zusätzliche Vorgaben und Dokumentationspflichten über die Unternehmen spült“, betont DIHK-Präsident Peter Adrian. „Europa und die Europäische Union sind nicht abstrakt. Im Gegenteil: Wir spüren sie jeden Tag in unserem betrieblichen Alltag, auf die gute wie auch auf die zeitraubende Weise. Und gerade deswegen ist es so wichtig, dass wir als Wirtschaft unsere Stimme erheben.“

Bei aller berechtigten Kritik bleibe jedoch auch wahr: „Europa ist die Lösung für eine gute Zukunft in der sich ändernden Welt. Aber nicht das Europa der Bürokraten, der Zweifler und der Bremser – sondern das Europa der Macher, der Unternehmer und der Neugierigen.“ Die Welt sei aus den Fugen geraten und es werde immer schwerer, gemeinsame Entscheidungen zu treffen und gute Kompromisse zu finden, sagt der DIHK-Präsident. „Da ist es schon fast ein Wunder, wie gut Europa am Ende doch funktioniert!“

Ausführliche Fassung der zehn Leitlinien für eine bessere Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europa:
handelskammer-magazin.de/forderungen-eu