Erfahrungen mit Personal aus dem Ausland

Der Fachkräftemangel wird immer drängender, inzwischen hat er sich in vielen Bereichen zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel ausgeweitet. Betroffen sind Unternehmen aller Größenordnungen und Branchen. Auf der Suche nach dringend benötigtem Personal sehen sich auch Bremer Betriebe immer häufiger im Ausland um. Oftmals mit Erfolg, allerdings auch mit erheblichem Aufwand.

In der vergangenen Ausgabe hatte die „Wirtschaft in Bremen und Bremerhaven“ über die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes berichtet, die laut Bundesregierung dazu führen soll, dass ausländische Fachkräfte leichter nach Deutschland kommen können. Ende Juni hat der Bundestag den dazu vorgelegten Gesetzentwurf beschlossen. Doch die Änderungen gehen nicht weit genug: Davon ist Dr. Christian Frank überzeugt, Vorstandsvorsitzender der in Bremen ansässigen Sikora AG. „Was da verabschiedet worden ist, ist nicht einmal die Hälfte dessen, was wir bräuchten“, kritisiert er. „Das wird an den prozessualen Schwierigkeiten nichts ändern.“ Momentan sei es „ein absoluter administrativer Alptraum“, Fachkräfte nach Deutschland zu holen: „Da müssen dringend die Prozesse vereinfacht und verschlankt werden.“

Sikora, ein Entwickler und Hersteller von Mess- und Regeltechnik sowie Inspektions-, Analyse- und Sortiersystemen, beschäftigt weltweit rund 400 Mitarbeiter, davon 300 am Standort Bremen. Der seit Jahren feststellbare Fachkräftemangel spitze sich aktuell noch zu, sagt Frank. „Wir können inzwischen manche Aufträge nicht mehr so abarbeiten, wie es die Kunden wünschen. In der Konsequenz gehen Aufträge an Wettbewerber aus anderen Ländern, wir verlieren durch den Fachkräftemangel an Wirtschaftskraft.“

Seit Kurzem arbeiten drei Kollegen aus Russland in Bremen, die ursprünglich in der russischen Tochtergesellschaft beschäftigt waren und mit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine das Land verlassen wollten. „Der Aufwand war gigantisch, wir mussten allein 30 Seiten für jeden von ihnen einreichen, um ihre Unterlagen anerkennen zu lassen.“ Ein komplettes Verfahren dauere ein bis anderthalb Jahre, berichtet der Vorstandvorsitzende: „Das ist für die deutsche Industrie einfach zu spät. Ich würde gerne in Osteuropa oder in der ganzen Welt rekrutieren, aber die Verfahren sind so komplex, dass es für den Mittelstand nicht darstellbar ist.“

Ohne Aufwand geht es nicht

Ähnliche Erfahrungen hat der Bremer Hydraulik-Spezialist Hansa-Flex gemacht, der bundesweit 2.100 Mitarbeitende beschäftigt. Es sei „ein Riesenaufwand“, Personal aus dem Ausland zu holen, sagt Personalleiterin Nina Orywal. „Weil da aus meiner Perspektive so unglaublich viele bürokratische Schritte mit unterschiedlichen Behörden dranhängen.“ Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Arbeitsvertrag lässt sich nur mit deutschem Wohnsitz abschließen – wer keinen Arbeitsvertrag hat, bekommt aber keine Wohnung.

Allerdings führt laut Orywal kein Weg mehr daran vorbei, diesen Aufwand zu betreiben. Habe sich der Personalmangel zunächst nur bei klassischen Mangelberufen wie hochspezialisierten IT-Fachkräften oder Ingenieuren gezeigt, würden mittlerweile in fast allen Bereichen Arbeitskräfte fehlen: „Da ist definitiv eine deutliche Verlagerung zu spüren.“ Wenn die Personalchefin einen Wunsch frei hätte, würde sie sich eine zentrale Stelle wünschen, die sich um behördliche Themen kümmert. Und die aufzeigt, was bereits möglich ist – und nicht den Fokus darauf legt, was alles nicht geht.

Zugleich richtet sie einen Appell an alle Unternehmen, sich dem Thema mehr zu öffnen und auch Kräfte abzustellen, die sich um die innerbetriebliche Integration kümmern. „Das ist aufwändig und zeitintensiv“, räumt sie ein, „aber es ist machbar. Man muss es nur wollen.“ Bei Hansa-Flex gebe es inzwischen Teams, die deutlich diverser seien und durch den kulturellen Austausch voneinander lernten: „Das hat unsere Firma in vielen Bereichen auch beflügelt.“

Ein gutes Beispiel dafür, was bei entsprechendem Einsatz alles machbar ist, ist das Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide. Schon vor Beginn der Corona-Pandemie hatte das Krankenhaus mit dem Auslandsrecruiting begonnen, um dringend benötigte Pflegekräfte anzuwerben. „Durch die Pandemie hat sich alles verzögert – und gleichzeitig hat sich der Bedarf noch einmal deutlich erhöht“, berichtet Dr. Witiko Nickel, pflegerischer Geschäftsführer. Aktuell arbeitet das Klinikum mit Agenturen in mehreren Ländern zusammen, unter anderem auf den Philippinen, in Jordanien, im Libanon und in Indien. „Wir haben ein Außenteam gegründet, das aus zwei oder drei Führungskräften besteht und das zu den Vorstellungsgesprächen für mehrere Tage in das jeweilige Land fliegt“, erläutert Nickel. „Für uns ist das ein Zeichen des Respekts. Und es macht tatsächlich einen entscheidenden Unterschied, ob man Menschen im echten Leben trifft oder nur im Video-Chat.“ Es gibt in Reinkenheide qualifizierte Integrationsmentoren, die unter anderem bei der Organisation von Wohnungen helfen, und regelmäßige Online-Kontakte zwischen dem jeweiligen Team und den neuen Kollegen schon vor deren Ankunft herstellen.

Von den derzeit knapp 900 Pflegekräften am Krankenhaus kommen schon gut 20 aus dem Ausland, 80 weitere werden in den kommenden zwölf Monaten folgen. Perspektivisch sind 20 bis 40 neue internationale Pflegekräfte pro Jahr geplant. „Wir betreiben da einen großen Aufwand“, macht Nickel deutlich. „Aber wir wollen, dass diese Menschen wirklich Teil des Teams werden und sich hier wohlfühlen. Darum ist es sinnvoll, Energie zu investieren, damit sie möglichst lange bleiben.“

Unterstützung für Bremer Unternehmen

Unter dem Dach des Unternehmensservice Bremen bietet die Handelskammer gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Bremen und weiteren Partnern umfassende Leistungen für Unternehmen und ausländische Fachkräfte an. Dazu zählt auch der Willkommensservice, der bei Fragen zu den Themen Aufenthalt, Arbeitsgenehmigung und Anerkennung ausländischer Abschlüsse in Anspruch genommen werden kann.

unternehmensservice-bremen.de

Bild oben:
Hansa-Flex macht gute Erfahrungen mit Fachkräften aus dem Ausland. V.l.: Hansa-Flex Personalleiterin Nina Orywal mit Soleiman Fandi (Mitarbeiter Serienfertigung) und Joachim Rimkus (Leiter Zentrale Serienfertigung). Foto: Björn Hake