In Bremen-Nord laufen aktuell zahlreiche bedeutende Projekte im Bereich der Stadtentwicklung, auch die Jacobs University befindet sich im Aufbruch. Gesucht wird der Rote Faden: Wie lassen sich all die Initiativen miteinander verknüpfen, um die Effekte zu maximieren? Das Thema Digitalisierung kann dabei eine wichtige Rolle spielen.
Das Gesicht von Bremen-Nord wird sich in den kommenden Jahren stark verändern – eine ganze Reihe von Entwicklungsprojekten befindet sich zurzeit in Arbeit oder in Planung. Sämtlich Bereiche des Lebens werden davon berührt – vom Wohnen über das Arbeiten bis zum Lernen in der Schule oder an der Universität. Nur eines fehlt: die Strategie, die für eine Verknüpfung und Koordination der Projekte in dem 100.000-Einwohner-Bezirk sorgt.
Zu den aktuellen Großvorhaben zählen:
Steingut-Quartier: Auf dem 10 Hektar großen Areal der Norddeutschen Steingut AG, die ihre Tätigkeiten an andere Standorte verlagert, entstehen Wohnungen für rund 1000 Menschen sowie Gewerbeflächen für die räumliche Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten. Durch die zentrale Lage in Bremen-Grohn und die Nähe zur Jacobs University bietet der Standort erhebliches Potenzial. Nach Abschluss eines Architekturwettbewerbs wird aktuell der Bebauungsplan erstellt.
Hartmannstift: Im Zentrum von Vegesack entsteht auf 11.000 Quadratmetern rund um das ehemalige Hartmannstift ein neues Wohnquartier. Der historische Bau wird um sechs neue Gebäude erweitert; insgesamt entstehen 70 Wohnungen. Mit der Fertigstellung wird 2025 gerechnet.
Sedanplatz: Das Areal rund um den Sedanplatz kann neu geordnet werden: der Abriss der Markthalle und des Finanzamts sind beschlossen, stattdessen sollen Wohn- und Geschäftshäuser an dieser Stelle entstehen. Neue Wohnungen und Läden können nicht nur den Platz selbst wiederbeleben, sondern auch die Fußgängerzone.
Speicherquartier: Das Einkaufszentrum Haven Höövt, 2003 eröffnet, wurde 2021 wieder abgerissen, da sich kein Nachfolger für den insolventen Betreiber fand. Nun sollen dort für insgesamt 120 Millionen Euro neue Wohnungen, ein Hotel, Restaurants, eine Altenpflegeeinrichtung, eine Kita und ein neues Polizeikommissariat entstehen. 2025 soll alles fertig sein.
Auch das Hotel Strandlust soll abgerissen und durch Wohnungen, Gastronomie und Gewerbeflächen ersetzt werden. Auf dem Gelände der Bremer Wollkämmerei entsteht ein Berufsschulcampus. Und Blumenthals Zentrum wurde kürzlich zum Sanierungsgebiet erklärt, was die Bereitstellung von zusätzlichen Fördergeldern für öffentliche Bauprojekte ermöglicht. Nicht zuletzt hat auch der neue Eigentümer der Jacobs University große Pläne. Perspektivisch ist auch eine Umgestaltung des Vegesacker Bahnhofsplatzes und seiner Umgebung geplant.
Ohne Strategie kein erfolgreiches Standortmarketing
Jedes Projekt für sich genommen bietet große Chancen – allerdings könnten die positiven Effekte für die Standortentwicklung deutlich gesteigert werden, wenn sie gemeinsam betrachtet würden. Dies war bereits im vergangenen November ein Thema beim Dialog-Forum Bremen-Nord, einer Gemeinschaftsveranstaltung der Handelskammer und des Wirtschafts- und Strukturrats Bremen-Nord (WIR). „Wie hängen diese Projekte und Themen eigentlich zusammen?“, fragte Janina Marahrens-Hashagen, damals noch amtierende Präses der Handelskammer Bremen. „Was ist die verbindende Klammer? Könnte sich Vegesack nicht überzeugender und bildreicher nach außen präsentieren? Wo laufen die Fäden zusammen und warum dauert Vieles so lange?“
Der WIR setzt sich bereits seit einigen Jahren dafür ein, dass die Stadtentwicklung stärker gebündelt und gezielter vorangetrieben wird. „Ohne Strategie lässt sich kein erfolgreiches Standortmarketing machen“, betont Bernhard Wies, stellvertretender Vorsitzender des WIR. Bremen-Nord habe Nachholbedarf im Standortwettbewerb um Neubürger, Investoren, Kunden und Touristen. Gegenüber anderen Stadtteilen verschärfe sich die Situation auch durch die geografische Lage innerhalb des ungewöhnlich langgezogenen Bremer Stadtgebiets – beispielsweise seien Auszubildende aus anderen Vierteln nicht so leicht zu motivieren, eine Stelle in Bremen-Nord anzunehmen.
Besonderer Handlungsdruck ergibt sich laut Wies auch durch die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Während in Bremen 54 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze je 100 Einwohner bestehen, sind es in Bremen-Nord nur 19. Auch Bremerhaven liegt mit 43 noch weit darüber. Der über viele Jahre vom Niedergang der Vulkan-Werft und der Schließung der Bremer Wollkämmerei getriebene Verlust von Arbeitsplätzen konnte zwar gestoppt, jedoch nicht ausgeglichen werden.
Studienergebnisse kaum umgesetzt
Das Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen (IAW) kam schon 2016 in der Studie „Bremen-Nord: Chancen zur Neupositionierung nutzen“ zu dem Schluss, dass ein konzentriertes Vorgehen erforderlich ist: „Die traditionellen Instrumente der regionalen Strukturpolitik reichen also nicht alleine aus, die künftige Entwicklung Bremen-Nords positiv zu beeinflussen. Vielmehr ist es notwendig, Wirtschafts-, Stadtentwicklungs-, Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik zu verzahnen.“
In Bremen-Nord agierten „zahlreiche Akteure in mitunter sehr komplexen Entscheidungsstrukturen“, erklärten die Autoren der Studie. Viele Entwicklungsansätze und Projekte würden nebeneinanderher verfolgt, es fehle eine gemeinsam abgestimmte Zielsetzung und Strategie sowie die Bereitstellung entsprechender Ressourcen. Die integrierte Entwicklungsstrategie müsse bei Erfüllung bestimmter Qualitätskriterien von einer Entwicklungsagentur umgesetzt werden.
Drei Jahre später verabschiedete der Senat zwar das „Integrierte Struktur- und Entwicklungskonzept Bremen-Nord“ (ISEK), allerdings erfüllte dies laut Wies nicht die Anforderungen und mündete auch nicht in eine strategisch orientierte gesamtheitliche Umsetzung.
WIR und Handelskammer sehen unterdessen auch kurzfristigen Handlungsbedarf in Themenfeldern wie der Bereitstellung und Vermarktung von Gewerbeflächen, der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und der angemessenen Ausstattung des Bauamts mit Personal – gerade angesichts der vielen laufenden Bauprojekte. Insbesondere gelte es, das Mittelzentrum Vegesack mit einer klugen Gesamtkonzeption voranzubringen und zu mehr Ausstrahlung zu verhelfen.
Digitalisierung als Hebel
Ein weiterer Hebel bei der zukunftsfähigen Entwicklung des Standorts ist das Thema Digitalisierung – und auch hier würde sich ein koordiniertes Vorgehen anbieten. Im ISEK findet sich jedoch auf 80 Seiten nur einmal das Wort „digital“, wie Jens Mühlner vom Trägerverein der Charta digitale Vernetzung nachgezählt hat. „In den Überlegungen zur Zukunft Bremen-Nords spielt das Thema Digitalisierung keine Rolle“, sagte er bei einer Veranstaltung des WIR und des Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrums Bremen am 7. Juli im Kulturbahnhof. „Das ist meines Erachtens fatal.“
Auf diese Weise drohe der Abstand zu anderen Standorten weiter zu wachsen. Dabei gebe es schon sehr gute, bundesweit beachtete Digitalisierungsprojekte in Bremen-Nord, auf denen sich aufbauen lasse. Auch die Jacobs University könne dabei eine wichtige Rolle spielen. Gebraucht werde eine gemeinsame, breit angelegte Initiative.