Die Sparkasse Bremen hat ihr erstes großes Technologie-Unternehmen ausgegründet: Der „Robo Advisor“ Smavesto setzt Künstliche Intelligenz ein, um das angelegte Geld der Kunden nach deren Vorgaben automatisiert zu verwalten. Geschäftsführer Dr. Sascha Otto erklärt im Interview, wie das System funktioniert und warum es vom Handelsblatt zum Testsieger gekürt wurde.
Warum haben Sie Smavesto gegründet, obwohl es schon verschiedene andere Robo-Advisor auf dem Markt gab?
Das Konzept ist entstanden, weil wir gemerkt haben, dass im Bereich der Finanztechnologien unheimlich viel Disruptives passiert – unter anderem im Bereich Vermögensverwaltung. Wir merken auch, dass es bei unserer Kundschaft eine große Affinität zum Thema Digitalisierung gibt. Deshalb wollten wir als Sparkasse Bremen dieses Thema besetzen. Vielleicht hat der eine oder andere ja kein so großes Interesse mehr, eine klassische Anlageberatung zu machen.
Es gab dann zwei Möglichkeiten: eine Kooperation eingehen oder es selber machen. Die Partner, mit denen eine Kooperation möglich gewesen wäre, haben aus unserer Sicht nicht gepasst. So wurde sehr schnell die Lösung klar: Wir haben sehr gutes Know-how hier in Bremen, wir haben sehr kompetente Menschen an Bord, und wir können auch Algorithmen. Wir wollten aber auch einen Versuchsballon starten – können wir sowas überhaupt als etablierte Institution hier in Bremen? Und wir haben festgestellt: Ja, das kriegen wir hin.
Bremen ist nicht als Standort für Technologieunternehmen im Finanzsektor bekannt – was hat Ihnen den Mut gegeben, dennoch gerade hier eine FinTech-Gründung anzusiedeln?
Wir haben eine ganz tolle Projektgruppe gegründet. Das war interessant, denn wir haben das sehr hierarchieübergreifend gemacht. Wir haben gefragt: Was können wir selbst, bei welchem Bereich brauchen wir Partner? Und dann haben wir den besten Partner für die jeweilige Aufgabe gesucht, nicht den Partner, den man vielleicht immer schon genutzt hat.
Das Wichtigste war, dass wir die alten Projektstrukturen aufgebrochen haben. Wir hatten eine gute Mischung aus erfahrenen und sehr jungen, dynamischen Kollegen. Wichtig war auch, dass wir von Anfang an ergebnisoffen herangegangen sind. Durch diese Möglichkeit, das Ganze als echtes FinTech zu starten – und auch durch die wirklich tolle Unterstützung des Vorstands – ist es so erfolgreich geworden.
Man hört ja immer wieder, dass sich auch etablierte Unternehmen wie Start-ups bewegen wollen, aber in den meisten Fällen klappt das dann doch nicht so einfach.
Ein Problem ist immer, wenn das Mindset sehr stark in die alten Strukturen zurückkippt. Dann kommen auch die alten Lösungen heraus. Dieses aufzubrechen hat bei uns sehr gut funktioniert. Wenn wir es nach alten Projektentwicklungsschritten gemacht hätten, hätten wir Smavesto nicht so umsetzen können, wie wir es nun gemacht haben. Es war ein sehr guter Test und ist jetzt auch das Modell, wie wir neue Innovationen in der Sparkasse Bremen angehen.
Aus dem Projekt fließen also auch Ideen zurück in die traditionelleren Geschäftsbereiche?
Auf jeden Fall. Smavesto war eins der größten Projekte, die wir in dieser Form gemacht haben, und die beteiligten Kollegen haben Vieles gelernt, das sie jetzt auch in andere Projekte mitnehmen. Dieser Lerneffekt war Gold wert. Man müsste wahrscheinlich ein sehr großes Budget in die Hand nehmen, um das Wissen, das hier geschaffen wurde, über klassische Seminare aufzubauen.
Können Sie den Aufwand beziffern, der von der Sparkasse betrieben wurde?
Im Kernprojektteam hatten wir 15 Kollegen, die ungefähr eineinhalb Jahre daran gearbeitet haben.
Das Handelsblatt hat Smavesto zum Testsieger unter den Robo Advisorn gekrönt. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund für den guten Start?
Unser Algorithmus – die Technik, die am Ende die Investitionsentscheidungen trifft – ist sehr flexibel. Er kann sehr gut auf die Kapitalmärkte reagieren, und wir nutzen „echte“ Künstliche Intelligenz. Was ich am Markt wahrnehme, sind oft die klassischen Modelle, die auch die klassischen Probleme aufweisen. Das ist alter Wein in neuen Schläuchen.
Was ich ganz häufig sehe – und was nicht gut funktioniert – sind Modelle, die einen sogenannten Cash-Lock verursachen. Beim Cash-Lock ist es so, dass der Kunde ein Risikobudget als Maximum festlegt. Das Problem ist: Die klassischen Modelle verkaufen, je näher sie dem Maximum kommen, immer mehr Aktien und sind dann mindestens ein Jahr lang nicht investiert. Das wird ein Problem, wenn gerade eine Erholungswelle kommt.
Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem sich diese Flexibilität gezeigt hat?
Corona war letztes Jahr natürlich für alle ein Schock. Aber für uns mit Smavesto war es auch eine ideale Bewährungsprobe. Ich hatte schon alle größeren Krisen simuliert – zum Beispiel die Lehman-Pleite, die Euro-Schuldenkrise, den 11. September. All das kenne ich ja, das habe ich in meinem Leben schon mal erlebt. Ich habe aber noch nie eine Pandemie erlebt und ihre Auswirkungen auf die Kapitalmärkte. Und was ich auch noch nicht erlebt habe ist dieser V-förmige Verlauf: Der Kapitalmarkt bricht brutal ein und erholt sich ganz schnell wieder. Das hat den meisten anderen Algorithmen das Genick gebrochen. Sie haben verkauft, als es nach unten ging, und haben es aufgrund ihrer Methodik nicht geschafft, wieder in den Markt zu kommen.
Wir haben es tatsächlich geschafft. Als die Pandemie an den Märkten angekommen ist und der Markt das erste Mal gefallen ist, hat Smavesto alle Aktien verkauft. Ich als Portfoliomanager fand das aus meiner Erfahrung heraus irritierend. Ich hätte vielleicht abgesichert oder andere Dinge gemacht, aber ich hätte nicht mein gesamtes Portfolio verkauft. Das war der Punkt, an dem ich gesagt habe: Oh, ob das so gut ist, was der Algorithmus da macht, das weiß ich jetzt nicht. Aber es war genau richtig.
Das zweite, was Smavesto auch sehr gut hinbekommen hat, war, relativ schnell auch wieder einzusteigen. Als die Märkte sich stabilisiert haben, hat Smavesto sehr schnell die Aktienquoten wieder aufgebaut und deshalb diese Erholung sehr gut mitgenommen.
Sind Sie darauf vorbereitet, dass Ihr Ansatz von der Konkurrenz kopiert wird?
Ich hoffe das sehr, denn ein größeres Lob als kopiert zu werden kann man ja fast gar nicht bekommen. Auf der anderen Seite habe ich auch das gesunde Selbstbewusstsein, dass wir als Team in der Lage sind, neue Trends gut zu implementieren und immer ein Stück voraus zu bleiben.
Das Kopieren ist im Detail wahrscheinlich auch schwieriger, als es sich anhört.
Ganz offen gesagt: Das sind Methoden, die wir ja nicht erfunden haben. Die sind in der wissenschaftlichen Literatur über Jahrzehnte diskutiert worden. Ich sag’s auch so: Wenn jemand sich anderthalb Jahre mit guten Mathematikern hinsetzt, dann wird er das reproduzieren können, keine Frage.
Es ist ein selbstbewusstes Statement zu sagen: Bis dahin sind wir eben schon wieder einen Schritt weiter. Wie gehen Sie an die Weiterentwicklung heran?
Das wichtigste ist auch da wieder: Wir haben bei Smavesto nach wie vor eine sehr flache Hierarchie und wir stellen uns immer gegenseitig als Team in Frage. Dazu kommt der intensive Dialog mit Externen. Wir haben zum Beispiel einen sehr guten Austausch mit der Universität Bremen und diverse Projekte mit der Hochschule. Das ist auch ein ganz wichtiger Input.
Wie entwickelt sich der Kundenstamm bei Smavesto?
Wir haben im Moment ein exponentielles Wachstum – zwar bei einer kleinen Basis, aber trotzdem exponentiell. Die Berichterstattung in den Medien hat dazu geführt, dass sich seit Anfang des Jahres die Zahl unserer Kunden und die Vermögenswerte verdoppelt haben, wobei wir letztes Jahr auch schon ganz guten Zuwachs hatten. Das Produkt wird wahrgenommen und wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung.
Was bedeutet dieser Erfolg für Bremen als Finanz- und Technologiestandort? Können Sie Effekte für den Standort sehen?
Ich glaube schon. Bremen wird ja immer ein bisschen unterschätzt. Ich muss sagen, als gebürtiger Hamburger war ich begeistert, als ich nach Bremen gekommen bin, was für tolle, innovative, dynamische Unternehmen hier sind. Gucken Sie mal zur Uni: Wir haben tatsächlich einen der besten Bereiche für Künstliche Intelligenz dort, der auch in den ganzen Rankings sehr weit vorne ist. Robotik ist ganz weit vorne, das Thema Weltraumforschung haben wir auch. Bremen ist ein hochinnovativer Standort, wo viele sehr kompetente Menschen zu finden sind.
Deswegen glaube ich auch, dass Bremen einen gewaltigen Vorteil hat für junge Akademiker und Gründer. Ich als Hamburger kann sagen, dass es mich begeistert hat, was ich hier für eine Lebensqualität für einen überschaubaren Preis bekomme. Ich hoffe, dass Smavesto auch ein gutes Beispiel dafür ist, dass man hier eine innovative Idee aufbauen kann.
Gibt es seitens der Sparkasse schon Pläne, neben Smavesto andere FinTech-Unternehmen zu gründen?
Auf jeden Fall wird es nicht unser letztes FinTech sein. Eine Sache ist auch schon in Betrieb. Das ist „Manni“, unsere Finanz-App.
Ein boomendes Innovationsfeld sind ja im Moment die Kryptowährungen wie Bitcoin, aber da halten Sie nicht viel von, wie man liest.
Das stimmt definitiv. Aus wissenschaftlicher Neugier heraus war der Bitcoin für mich etwas unheimlich Faszinierendes. Als Währung ist der Bitcoin völlig ungeeignet, weil er viel zu volatil ist, und ich sehe im Moment auch noch nicht den großen Vorteil im Bereich Zahlungsverkehr.
Es gibt zwei Gründe, warum der Bitcoin momentan populär ist. Grund Nummer eins ist Spekulation, ein Spielcasino. Grund Nummer zwei sind illegale Transaktionen. Beides sind für mich keine guten Grundlagen, um darauf ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufzubauen.
Was wir aus dem Bitcoin mitnehmen werden ist aber die Blockchain. Ich bin überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren ganz viele neue Anwendungsfelder sehen werden aus der Blockchain – ob es in der Transaktion von Immobilien sein wird, ob es staatliche Prozesse sind wie der Reisepass oder der Personalausweis, oder ob das Logistikprozesse sind – da passiert eine ganze Menge.
Ich glaube auch, dass die Staaten sich niemals die Hoheit über die Finanzen und die Währung aus der Hand nehmen lassen. Deshalb ist der Bitcoin eine schöne, erste Stufe, aber auch nicht mehr.
Das heißt, man wird bei Smavesto in absehbarer Zeit sein Geld nicht in Bitcoin einzahlen oder anlegen können?
Der Algorithmus bekommt von uns die Möglichkeit, darin zu investieren. Aber ich kenne den Algorithmus. Aufgrund der Risikodarstellung und aufgrund dieser unglaublich volatilen Bewegungen wird er den Bitcoin nicht als sehr attraktiv betrachten. Aber die theoretische Möglichkeit wäre da. Ich möchte dem Algorithmus nicht diese Möglichkeit nehmen.
Sie geben dem Algorithmus also freie Hand, gegen Ihre persönlichen Vorlieben zu entscheiden.
Ja, definitiv.
Sehen Sie Smavesto auch als Instrument, um das Investieren in Unternehmen einer breiteren Bevölkerungsgruppe in Deutschland nahezubringen?
Ich will nicht zu missionarisch klingen, aber: Seitdem ich im Wertpapierbereich bin, habe ich ein absolutes Ziel, und zwar: Ich möchte, dass jeder Deutsche mal anfängt, in Wertpapieren zu sparen. Das war seit dem Beginn meiner Karriere in der Bank meine absolute Überzeugung, weil ich glaube, da ist noch so viel „Luft nach oben“ bei der Geldanlage hier in Deutschland. Und natürlich ist Smavesto auch einer der Bausteine, der es Menschen ermöglicht, sehr einfach und sinnvoll Geld zu investieren, auch wenn sie vielleicht weiter weg sind von dem Thema.
Das Gespräch führte Axel Kölling.