Wirtschaftsempfang der Handelskammer: „Wir müssen schneller werden“

Der Festredner des Bremer Wirtschaftsempfangs 2022, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst, rief zu einer faktenbasierten Energiepolitik und zu einer Beschleunigung wichtiger Infrastrukturprojekte auf. Veranstaltungsort war in diesem Jahr die Constructor University (bis vor kurzem Jacobs University Bremen).

Bremen und Nordrhein-Westfalen verbindet ihre Stärke als Industriestandort. Dementsprechend teilen sie auch die Sorgen angesichts der gegenwärtigen Energieknappheit – ein Thema, das beim Wirtschaftsempfang der Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven am 2. Dezember 2022 immer wieder in den Fokus rückte, denn Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst war als Festredner zu Gast in der Hansestadt.

Handelskammer-Präses Eduard Dubbers-Albrecht verwies in seiner Begrüßungsrede auf die zahlreichen Herausforderungen, denen die Wirtschaft zurzeit ausgesetzt ist, und betonte dabei unter anderem die Gefahr der Überregulierung in Deutschland, beispielsweise im Rahmen des Lieferkettengesetzes. „Wir fesseln uns durch Bürokratie, dabei braucht die Wirtschaft Bewegungsfreiheit, um sich entfalten zu können“, sagte er. Eine besondere Belastung seien auch die stark gestiegenen Energiepreise. „Ich jammere nicht auf hohem Niveau“, betonte er. „Es sind Existenzfragen, die durch diese hohen Energiepreise ausgelöst werden.“

Nur wenn das Angebot an Energie erhöht werde, könnten auch die Preise sinken, so Präses Dubbers-Albrecht. „Das betrifft einerseits bestehende Kraftwerke, aber vor allem betrifft es den Ausbau der erneuerbaren Energien.“ An Ministerpräsident Wüst und Bremens Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte gerichtet sagte er: „Und ich kann nur appellieren – auch an Sie Ministerpräsidenten: Vereinfachen Sie die Planungs- und Genehmigungsverfahren! Machen Sie bei diesem Thema Ihren Einfluss geltend!“

3 Milliarden Euro für den Strukturwandel in Bremen und Bremerhaven

Bovenschulte wertete in seinem Grußwort die kürzlich beschlossenen Strom- und Gaspreisbremsen als gutes Ergebnis und äußerte seine Hoffnung, dass die Hilfen nun zügig bei den Unternehmen und Privathaushalten ankommen. „Wir werden aber über den Tag hinaus denken müssen“, sagte er. „Wir müssen die Wirtschaft so unterstützen, dass sie aus dem aktuellen Krisen- und Transformationsprozess dauerhaft gestärkt hervorgeht.“

Der Senat habe deshalb beschlossen, 3 Milliarden Euro in die Hand zu nehmen, um den Strukturwandel zu unterstützen und dabei insbesondere auch die Dekarbonisierung der Wirtschaft voranzutreiben. Eines der größten Einzelprojekte sei dabei die Umrüstung des Stahlwerks mit seinen 3000 Beschäftigten auf die Nutzung von Wasserstoff als Energiequelle. Allein auf das Land Bremen würden 300 Millionen Euro Zuschuss dafür zukommen.

Todesopfer der Flutkatastrophe als Mahnung für die Energiepolitik

Festredner Hendrik Wüst äußerte zunächst seinen Stolz darauf, dass in seinem Bundesland noch umfassende industrielle Wertschöpfungsketten zu finden sind, was sich nicht zuletzt während der Finanzkrise als stabilisierend herausgestellt habe. Der Nachteil sei, dass am Anfang dieser Wertschöpfungsketten sehr viel Energie benötigt werde. Diese aktuelle Herausforderung werde ergänzt durch die Aufgabe zur Transformation zur klimaneutralen Produktion. „In Nordrhein-Westfalen haben wir bitter bezahlt für die Folgen des Klimawandels“, betonte er. „Bei uns sind 49 Menschen in der Flutkatastrophe gestorben, verteilt über das ganze Land – zusätzlich zu den Opfern im rheinland-pfälzischen Ahrtal.“

Die Katastrophe koste neben den Menschenleben auch viele Milliarden Euro für den Wiederaufbau. Den Klimawandel könne man nicht nur nebenbei erwähnen, sondern das Thema sei „für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen – und ähnlich auch für Bremen – eine riesengroße Aufgabe, der wir uns zu stellen haben, wenn wir unserer Verantwortung in dieser Zeit gerecht werden wollen.“

Nordrhein-Westfalen produziere zurzeit noch mehr Kohlestrom als ursprünglich geplant, um die europäischen Netze zu stärken und Druck von den Energiepreisen zu nehmen. „Warum müssen wir diesen Beitrag leisten? Weil wir in Deutschland viel zu lange Energiepolitik gemacht haben, die mehr aus dem Bauch und den Emotionen heraus kam als aus Zahlen, Daten, Fakten. Und wenn diese Krise auch eine Chance mit sich bringt, dann vielleicht die, dass wir aus der Energiepolitik ein Stück die Emotionen rausnehmen.“

„Wir müssen doch Bock darauf kriegen, dass das bei allen Dingen so läuft“

Wie Bremen nehme auch NRW aktuell wieder Schulden zur Bewältigung der Krisen auf, allerdings sei dies nicht dauerhaft der geeignete Umgang mit neuen Herausforderungen, sagte Wüst. „Irgendwann haben wir auch kein Geld mehr.“ Um die Wirtschaft zu entlasten, müsse man als nächstes auf Steuern und Abgaben zu sprechen kommen, aber auch auf Bürokratie und Genehmigungsverfahren. „Es ist der Staat, der an dieser Stelle seine Hausaufgaben machen muss.“ Man müsse unter anderem beim Thema Lieferketten „auf die Pausentaste drücken, was staatliche Belastungen angeht“.

Ein weiteres Thema sei das Tempo der Verfahren. Was der Bundesregierung bei den LNG-Terminals gelungen sei, „müsste doch eigentlich jetzt Lust auf Mehr machen“ und dürfe kein Einzelfall bleiben. „Wir müssen doch Bock darauf kriegen, dass das bei allen Dingen so läuft.“ Insbesondere die norddeutschen Standorte würden davon sehr profitieren, betonte er. „Wir müssen einfach schneller werden.“ Beispielsweise könne man bei Industrieanlagen zu Typengenehmigungen übergehen wie bei Autos, um nicht jede Anlage einzeln genehmigen zu müssen. Auch ließen sich Gerichtsverfahren deutlich beschleunigen.

Entwicklung der Wissenschaft ein „Wunder von der Weser“

In seinem Schlusswort ging Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Matthias Fonger noch einmal auf zwei Punkte aus Ministerpräsident Wüsts Rede ein. Zum einen unterstütze er dessen Appell für eine europäisch abgestimmte Energiepolitik. Deutschland habe zu lange seine eigene Politik gemacht „und wir sind auf die Nase gefallen“.

„Die deutlich formulierte „Lust auf Mehr“ sei der richtige Weg, so Dr. Fonger. „Genau so sehen wir es auch: Es geht, es ist auch in Deutschland möglich, und es muss in viel mehr Feldern möglich sein.“

Zum Abschluss ging der Hauptgeschäftsführer mit Blick auf den Veranstaltungsort, die Constructor University Bremen, auf die Entwicklung der Wissenschaft im Land Bremen ein. „Das ist tatsächlich ein Wunder von der Weser“, sagte er. „Aus bescheidenen Anfängen hat sich einer der wichtigsten Standorte für Wissenschaft und Forschung in Deutschland entwickelt.“ Alle Beteiligten könnten stolz sein auf diese Entwicklung, „zumal die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft immer intensiver geworden ist und viele gemeinsame Forschungsprojekte und Start-ups zu dieser Erfolgsgeschichte beigetragen haben.“

Foto oben, von links: Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff, Bürgermeister Andreas Bovenschulte, Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Handelskammer-Präses Eduard Dubbers-Albrecht, Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Matthias Fonger.