Nachdem sie bei der Arbeit einen ziemlich miesen Tag erlebt hatte, eröffnete Anja Brantzen kurzerhand ihr eigenes Café. Ein gutes Jahr später ist der für seinen hausgemachten Kuchen und die gemütliche Atmosphäre bekannt gewordene Treffpunkt aus dem Bremerhavener Ortsteil Surheide kaum noch wegzudenken.
„Ich war schon immer spontan“, sagt die 44-Jährige über sich selbst, als sie von diesem einen Tag erzählt, an dem von morgens bis abends einfach alles schieflief. Zu der Zeit arbeitete die gelernte Bäckereifachverkäuferin als stellvertretende Filialleiterin bei einem großen Discounter, und auf dem Heimweg kam sie wie jeden Tag an dem damals seit Längerem leerstehenden Ladenlokal vorbei. In ihrer aufgewühlten Stimmung erinnerte sie sich daran, dass sie schon als Jugendliche darüber nachgedacht hatte, irgendwann ihr eigenes Ding zu machen. „Ich kannte die Vermieterin und habe ohne lange nachzudenken bei ihr geklingelt“, berichtet Anja Brantzen. „Dann habe ich mir den Laden angesehen und sofort das Potenzial erkannt.“
Weil es noch eine andere Interessentin gab, musste sie sich schnell entscheiden – und unterschrieb kurzentschlossen den Mietvertrag. Womit sie in dem Moment nicht rechnete: dass ihr die Hausbank mit Verweis auf die schwierige Lage in der Gastronomie keinen Kredit für die nötigen Anschaffungen und Sanierungsarbeiten geben würde. Rückblickend vermutet sie, dass dabei noch etwas anderes eine Rolle spielte. „Ich habe den Stempel alleinerziehend auf der Stirn“, meint die Mutter von drei Kindern. „Vom ersten Tag an habe ich erfahren, dass man als Alleinerziehende wirklich Probleme hat. Egal, ob es um die Wohnungssuche, das Arbeitsleben oder wie jetzt um einen Kredit geht: Ich muss immer erst beweisen, dass ich es kann.“
Warum weibliche Perspektive den Kundenkontakt erleichtert
Den Kredit erhielt die Gründerin schließlich von der Bremer Aufbau-Bank (BAB), nachdem sie sich mühsam in Themen wie Businessplan, Unternehmenskonzept und wirtschaftliche Perspektiven eingearbeitet hatte. „Das hat mich viele Nerven und Tränen gekostet, weil ich ja nebenbei weiter arbeiten und mich um meine Kinder kümmern musste“, berichtet sie.
Doch ihr Durchhaltevermögen zahlte sich aus. Heute kann sie voller Stolz sagen, dass ihr Plan aufgegangen ist: „Ich wollte einen Platz schaffen, an dem sich Menschen begegnen können oder einfach einen guten Kaffee oder ein leckeres Stück Kuchen finden.“ Die bisherigen Rückmeldungen zeigen, dass die Nachbarn in Surheide „Annie’s Café“ dankbar annehmen. Dabei hilft ihr gerade im Umgang mit der Kundschaft auch ihre weibliche Perspektive, ist sie überzeugt. Frauen hätten einen ganz anderen Blick auf die Dinge als Männer: „Wir haben mehr Herzenswärme und gehen offener auf andere Menschen zu. Zum Beispiel nehme ich eine ältere Dame vielleicht einfach mal in den Arm, wenn ich das Gefühl habe, dass es ihr nicht gut geht.“
Um alles zu schaffen und das Geschäft und ihre Familie unter einen Hut zu bekommen, steht die 44-Jährige morgens um 4 Uhr auf. Angestellte kann sie sich bisher nicht leisten – dafür steht ihre Mutter regelmäßig mit im Café und hilft außerdem tatkräftig beim Kuchenbacken. Ihre eigene Chefin zu sein, mache ihr viel Spaß und sei immer noch ein großes Abenteuer, sagt Brantzen. Aber es sei auch enorm anstrengend, nie wirklich Feierabend zu haben, weil immer noch etwas zu erledigen sei. „Es ist ein Für und Wider“, sagt sie ehrlich. „Ich habe gelernt, dass man in der Selbstständigkeit nur in der Gegenwart arbeiten kann. Was in der Zukunft kommt, kann ich nicht wissen.“
Ihr wichtigster Tipp für andere potenzielle Gründerinnen lautet, sich nicht entmutigen zu lassen. „Wer etwas wirklich will und sich gut vorbereitet hat, sollte es ausprobieren. Und wenn man auf die Nase fällt, ist es auch nicht schlimm – es geht immer irgendwie weiter.“ Für sie selbst sei der entscheidende Punkt gewesen, dass sie ihre Leidenschaft, ihre Kreativität und ihre eigenen Ideen habe einbringen wollen. „Ich wollte nicht eines Tages auf dem Sterbebett liegen und bereuen, es nicht getan zu haben. Und in Deutschland werde ich auch im Worst Case immer ein Dach über dem Kopf haben.“
Annie’s Café
Vieländer Weg 230
27574 Bremerhaven
Tel. 0176 62214970