Die Handelskammer Bremen - IHK für Bremen und Bremerhaven lud am 3. September zum Wirtschaftsempfang 2024 in das BLG-Forum in der Überseestadt ein. Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft diskutierten über die Zukunft des Standorts Deutschland.
Zwei Tage nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen warfen deren Ergebnisse auch einen Schatten auf den Wirtschaftsempfang 2024 der Handelskammer Bremen. Die Herausforderungen für den Standort Deutschland sind aktuell groß genug – weitere Verunsicherung ist wenig hilfreich. So berichtete Handelskammer-Präses Eduard Dubbers-Albrecht von einem Treffen mit dem konsularischen Korps:„Wie wird die aktuelle Entwicklung in Deutschland im Ausland gesehen. Leider gar nicht gut, und das wirkt sich negativ auf Auslandsinvestition und auf den Wirtschaftsstandort Deutschland aus. Auch wenn es uns gelingt, vieles richtigzustellen, so bietet dies Anlass zur Sorge.“ Politische Unsicherheit sei schlecht für das Investitionsklima, ebenso wie die aufkommende Feindlichkeit gegenüber der EU und der NATO, das dirigistische Denken der Parteien auf der linken und rechten Seite sowie die Migrationsfeindlichkeit, so Dubbers-Albrecht. „Das steht einer positiven Wirtschaftsentwicklung massiv entgegen.“
Der Fokus des Abends lag jedoch auf zwei anderen Herausforderungen, die eng miteinander zusammenhängen: der wirtschaftlichen Transformation und dem Bürokratieabbau. „Bei der Transformation fehlt an vielen Stellen der Pragmatismus und die Rationalität“, betonte der Präses. „Die politischen Ziele teilen wir als Wirtschaft in vielerlei Hinsicht, aber die Wege dorthin sind aus unserer Sicht oft unverständlich, überreglementiert und eben auch unrealistisch.“
An den Präsidenten des Senats und Bremer Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte gerichtet sagte er: „Wir haben immer mal wieder unterschiedliche Auffassungen, aber – das ist wichtig und zeichnet Bremen aus – wir reden intensiv darüber.“ Es gebe zwar viel zu tun, aber keinen Grund für Schwarzmalerei.
„Der CO2-Preis ist das wichtigste Instrument des Klimaschutzes“
Auch Prof. Lars Feld, der von Moderatorin Beate Hoffmann als „Erfinder der Schuldenbremse“ vorgestellt wurde, wollte in seinem Impulsstatement nicht schwarzmalen. Der Direktor des Walter-Eucken-Instituts und Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Universität Freiburg ging zunächst auf die Frage der Zeitschrift „Economist“ ein, ob Deutschland erneut der „kranke Mann Europas“ sei, wie sie bereits 1999 getitelt hatte. Laut Prof. Feld gibt es bedeutende Unterschiede: So habe die Arbeitslosenquote Mitte der 2000er Jahre bei 13 Prozent gelegen, heute bei 6 Prozent. Die finanzielle Lage des Staates und der Unternehmen sei heute ebenfalls vergleichsweise gesund.
Dennoch sieht Prof. Feld in vier Bereichen gravierende Herausforderungen:
- Arbeitskosten: Die Reallöhne seien seit 2011 nur moderat gestiegen, allerdings sei die Produktivität noch schwächer gewachsen, sodass sich die Lohnstückkosten fast kontinuierlich erhöht hätten, so Prof. Feld – „ein klarer Wettbewerbsnachteil“. Hinzu kommen die demografische Entwicklung und die Regulierung des Arbeitsmarktes, die „seit 2013 kräftig um sich gegriffen“ habe. Zur dauerhaften Finanzierung der Sozialversicherung brauche es daher eine klug gesteuert Einwanderung. Auch müssten alle „mehr und länger arbeiten“.
- Energiekosten: Deutschland liegt hier international laut Prof. Feld nicht an der Spitze, aber in der Führungsgruppe. „Angesichts der Notwendigkeiten, die der Klimaschutz mit sich bringt, ist eine höhere CO2-Bepreisung erforderlich“, forderte er. Dies sei das einzige Instrument, das eine internationale Koordination ermögliche und somit relativ einheitliche Wettbewerbsbedingungen herstellen könne. Darüber hinaus setze der CO2-Preis Anreize für Innovationen. Soziale Benachteiligungen müssten jedoch finanziell ausgeglichen werden.
- Steuern: „Im Jahr 2008 waren wir mit Großbritannien zusammen die Zweitgünstigsten, mittlerweile sind wir mit Japan ganz oben, weil alle anderen Staaten insbesondere die Unternehmenssteuern reformiert haben“, so Feld.
- Regulierungskosten: Die Bundesregierung gebe selbst zu, dass die Kosten der Bürokratie in den letzten Jahren weiter gestiegen seien. Allerdings vermeide sie die Nennung der benötigten Maßnahmen und des Zeitpunkts, wann die Kosten wieder deutlich gesunken sein sollen.
Prof. Feld forderte als Konsequenz aus diesen Schwierigkeiten eine umfassende Revision des Umweltrechts, des Baurechts, des Arbeitsrechts und des Datenschutzes. Die Schuldenbremse sieht er dagegen nicht als Hindernis: Die staatlichen Investitionen seien in den vergangenen Jahren hoch ausgefallen und unter anderem durch sinkende Zinslasten finanziert worden. Die von vielen geforderten umfassenden Subventionen zur Ankurbelung der Transformation hält er nicht für notwendig, wenn der CO2-Preis steigt und damit seine marktwirtschaftliche Funktion übernehmen kann.
Mehr Markt oder mehr Staat?
In der anschließenden Diskussionsrunde zum Thema „Transformation der Wirtschaft – wie kann das gelingen?“ verwies Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt darauf, dass auch sehr unterschiedliche Länder wie die USA und Vietnam massiv in die grüne Energieversorgung investieren. Es gehe nicht darum, sich entweder für den Markt oder für den Staat zu entscheiden, sondern immer zu schauen, welche konkreten „Transformationspfade“ zu den Märkten der Zukunft führen. Der Staat müsse oft in die Infrastruktur investieren, weil die Industrie sage, das Henne-Ei-Problem sei noch nicht gelöst. „Ich bin aber klar dafür, das auf die Investitionsausgaben zu begrenzen und nicht noch die Betriebskosten zu unterstützen“, betonte die Senatorin.
Prof. Feld sah beim Klimaschutz ebenfalls „ein eindeutiges Marktversagen, denn sonst hätten wir die Erderwärmung aufgrund der CO2-Emissionen nicht“. Im Bereich Forschung und Technologie befürworte er Anschubfinanzierungen und Subventionen, allerdings sehe er auch Investitionshilfen bei energieintensiven Unternehmen schon kritisch. „Wenn der Staat einen großen Topf Geld auf den Tisch stellt, dann wollen alle ran. Ich schlage nicht auf die Unternehmen ein, wenn sie versuchen, an das Geld zu kommen. Das Problem ist der Geldtopf.“
Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Matthias Fonger verwies auf die wichtigen Aufgaben des Staates. Deutschland sei nicht nur wegen der guten Unternehmen so stark gewesen, sondern auch „weil wir über sehr viele Jahre einen Staat mit sehr guter Infrastruktur, sehr guter Bildung und sehr guter Wissenschaft hatten. Wir haben einen Staat gehabt mit einer funktionierenden Verwaltung, die relativ effizient war. Der Staat ist gefordert, in diesen Bereichen wieder exzellent zu sein.“
Eigenverantwortung statt Sicherheitsdenken
Julius Kramer, Geschäftsführer der J. Heinr. Kramer Holding, sieht in dem Ruf nach Subventionen auch eine Mentalitätsfrage: „Es muss alles vom Staat geregelt werden. Ich glaube aber, dass wir wieder mehr auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen setzen sollten – innerhalb der Leitplanken, die vom Staat gesetzt werden müssen.“ Dies gelte für die gesamte Gesellschaft, nicht nur für die Wirtschaft.
Ähnlich äußerte sich Sabine van der Recke, Vorstandmitglied der OHB System AG, in der folgenden Diskussion zum Thema Bürokratieabbau. „Entbürokratisierung fängt damit an, dass wir zu mehr Eigenverantwortung zurückkehren“, hob sie hervor. „Wenn man sagt, wir wollen alles ein bisschen weniger absichern, dann braucht man viele von diesen Vorschriften, Verordnungen und Eingrenzungen nicht mehr, die uns in ein Sicherheitsnetzwerk zwingen.“
Ein Beispiel für kontraproduktive Regulierung ist ihrer Meinung nach das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. „Wir wollen ja ein nachhaltiges Unternehmen sein“, betonte sie. „Aber mittlerweile müssen wir mehr darüber berichten, wie wir mit dem ganzen Drumherum ums Geschäftemachen umgehen als über die Frage, wie wir eigentlich unser Geld verdienen.“
Die Wirtschaftsjunioren Bremen setzen sich daher für das Prinzip „one in, one out“ ein – für jede neue Regulierung soll eine alte wegfallen. Eine zweite wichtige Forderung sei die zügige Einführung des Digitalchecks bei neuen Gesetzen, sagte Irina-Maria Gabelmann, Sprecherin der Wirtschaftsjunioren Bremen und Head of Category Management bei der Ludwig von Kapff GmbH „Da muss deutlich mehr Fahrt aufgenommen werden.“ Es gelte, bei allen neuen Gesetzen gründlich zu durchdenken, wie sie sich auf die Bürokratie und die Kosten in Unternehmen auswirken.
Transformationsrat führt Politik und Wirtschaft zusammen
In Bremen tauschen sich Wirtschaft und Politik bereits regelmäßig zum Thema Bürokratieabbau aus. Der im Februar dieses Jahres gegründete Transformationsrat veröffentlichte kürzlich unter maßgeblicher Mitwirkung der Handelskammer Bremen die ersten Ergebnissen der Gespräche, auf denen nun aufgebaut werden soll. „Ich bin sehr stolz darauf, dass wir so ein Papier verabschiedet haben, mit Vertretern der Arbeitgeberseite und der Arbeitnehmer und des Senats“, erklärte Bürgermeister Bovenschulte beim Wirtschaftsempfang. Zwar gebe es bei den Beteiligten teilweise unterschiedliche Meinungen über die wirtschaftspolitischen Ziele, aber in einem Punkt seien sich alle einig: „Was es an Zielen gibt, muss effizient, schnell und unbürokratisch erreicht werden.“ Ein Beispiel dafür sei die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, ein anderes das Baurecht.
Ebenfalls einig waren sich Bovenschulte und Handelskammer-Präses Dubbers-Albrecht darin, dass der Teufel bei der Entbürokratisierung im Detail liegt, weil die Regeln beim genauen Hinsehen doch nicht so sinnlos seien wie es auf den ersten Blick scheine. „Oft wird Gutes beabsichtigt“, so der Präses. „Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.“ Man müsse sich immer die Frage stellen: Was wird mit der jeweiligen Maßnahme eigentlich bezweckt? Was ist der Nutzen? „Wenn man dann vernünftig denkt und die Wirtschaft mit einbezieht, ist es möglich, sehr viel Bürokratie abzubauen.“
Bild oben:
V.l.: Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte, Sabine von der Recke (OHB System AG), Moderatorin Beate Hoffmann, Irina-Maria Gabelmann (Wirtschaftsjunioren Bremen/Ludwig von Kapff GmbH) und Handelskammer-Präses Eduard Dubbers-Albrecht.
Foto: Joerg Sarbach