„So eine Dramatik habe ich noch nicht erlebt“

Christiane Lutter, Vorsitzende des Bremer Apothekerverbandes, warnt vor dem weiter zunehmenden Apothekensterben.

Das Land Bremen verfügt über die niedrigste Dichte an Apotheken in Deutschland: Im Durchschnitt sind es 18 pro 100.000 Einwohner – verglichen mit 21 im gesamten Bundesgebiet und 32 in der EU. Deutschlandweit ist die Zahl der Apotheken von rund 21.500 im Jahr 2010 auf 17.200 zurückgegangen, in Bremen und Bremerhaven sind es zurzeit noch 123. Den Hauptgrund sieht Christiane Lutter, Inhaberin der Albrecht-Dürer-Apotheke und Vorsitzende des Bremer Apothekerverbandes, in den stagnierenden Honoraren der gesetzlichen Krankenkassen. Diese seien bereits seit 20 Jahren nicht mehr erhöht worden. „Die Tariflöhne sind zwischen 2013 und 2023 um über 40 Prozent gestiegen“, sagt sie. Dennoch gebe es nicht einmal einen Inflationsausgleich. Die Honorare der gesetzlichen Krankenkassen werden den Apotheken als Pauschale pro verkauftem Produkt bezahlt und machen 80 bis 90 Prozent der Einnahmen aus – das kann laut Lutter nicht mit dem Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln, Pflegeprodukten oder Gesundheitstees aufgefangen werden.

Im Betrieb der Apotheken lasse sich auch nicht mehr weiter sparen, berichtet sie – mittlerweile sei alles sehr effizient strukturiert. „Wir haben schon Insolvenzen von Apotheken, das war früher undenkbar“, sagt sie. Wenn Inhaber in Rente gehen, finde sich oft kein Nachfolger mehr und auch neue Apotheken würden kaum eröffnet, da die benötigten Investitionen sehr groß seien. „Es ist wichtig, dass der Nachwuchs wieder Vertrauen bekommt in den Beruf und die Strukturen“, hebt sie hervor. Stattdessen werde es immer schwieriger, qualifizierte Fachkräfte zu finden, weil viele zu den Krankenkassen oder in die Industrie abwandern. Sie selbst hat Ende April ihre Zweitfiliale in Kattenturm-Mitte geschlossen, weil sich der Betrieb nicht mehr lohnte und das Personal fehlte. „Es kann nicht sein, dass das Einkommen in keinem Verhältnis mehr zum persönlich haftenden Risiko steht“, erklärt sie. „Für den Stadtteil ist das aber eine fatale Entwicklung.“

Die Apotheken seien der einzige Punkt im Gesundheitssystem ohne Zugangsbeschränkung, sagt Lutter. „Man kann einfach reinkommen, sein Problem schildern und auf medizinisches Fachwissen zugreifen.“ Das werde nicht zuletzt angesichts der häufig falsch eingenommenen Medikamente dringend benötigt, von den Online-Apotheken aber nicht geleistet. Darüber hinaus gäben Apothekerinnen und Apotheker oft Empfehlungen, ob es sinnvoll sei, eine Arztpraxis aufzusuchen oder nicht. Auch damit sparten sie dem Gesundheitswesen viel Geld.

In der Digitalisierung sieht Lutter für die Apotheken „keinen Heilsbringer“. Sie habe viele Vorteile, „aber sie macht es für mich nicht einfacher. Sie macht nur alles noch exakter“. Gerade dieser Punkt sorge manchmal für Stress, wenn es Schwierigkeiten mit einem Vorgang gebe. Früher habe sie den Patienten dann oft schon das Medikament ausgehändigt, das Papierrezept zur Seite gelegt und sich später in Ruhe darum gekümmert. Das Computersystem erlaubt diese Flexibilität jedoch nicht, sondern sorgt für lange Patienten-Schlangen, während der Fehler gesucht oder offene Fragen geklärt werden müssen. Gleichzeitig kommen immer neue Anforderungen: E-Rezept, elektronische Patientenakte und die Pflicht zur Einführung elektronischer Rechnungen, obwohl sie nur selten Rechnungen an Krankenkassen und Ärzte schickt. Die Logistik läuft ohnehin schon digital. „Es gibt in Apotheken keine Leiter EDV, Logistik, Warenwirtschaft, Marketing – das ist alles der Apothekeninhaber in Personalunion, und er kann von Glück sagen, wenn er die personellen Ressourcen hat, irgendwas davon delegieren zu können. Da kommt man an seine Grenzen.“ Sie sei seit 38 Jahren am gleichen Standort selbstständig, und ihre persönliche Auslastung habe kontinuierlich zugenommen. „Das ist es, was als Bürokratie empfunden wird: Dass immer noch eine Schippe draufkommt.“

Und im Gegenzug fehle die Wertschätzung. Seit einigen Jahren seien Lieferengpässe von Medikamenten ihr täglicher Begleiter. „Apotheken finden immer wieder Lösungen, aber es kostet Zeit, macht den Patienten Angst und ist erklärungsbedürftig“, sagt sie. „Und es ist eine Katastrophe, wenn ganze Substanzgruppen fehlen.“ Als Entschädigung für diesen Mehraufwand erhalten die Apotheken 50 Cent pro Fall – „weniger als einmal Pinkeln auf der Autobahn“, betont Lutter. Sie liebe weiterhin ihren Beruf, aber „er ist staatlich reguliert und der Staat hat überall den Daumen drauf. Daher ist der Staat eben auch dazu verpflichtet, den Beruf auskömmlich zu gestalten, und das tut er im Moment nicht.“

Bild oben:
Christiane Lutter, Inhaberin der Albrecht-Dürer-Apotheke und Vorsitzende des Bremer Apothekerverbandes.
Foto: Jörg Sarbach