Neuer Schwung für die Bremerhavener Innenstadt

Es ist eine der drängendsten Fragen in Bremerhavens Entwicklung: Unter dem Titel „Bremerhavener Innenstadt – quo vadis?“ lud die Handelskammer Bremen am 5. Dezember in das Bremerhavener Kammerebäude ein. Um die öffentliche Debatte zu bereichern, wurde an diesem Abend eine Impulsstudie zur langfristigen Wiederbelebung der Stadtmitte vorgestellt. Wie groß und breit das Interesse ist, zeigte die hohe Beteiligung und angeregte Diskussion im Publikum und auf dem Podium.

„Das Ziel muss aus meiner Sicht sein, die Innenstadt zu einem vitalen Zentrum für Handel, Arbeit, Wohnen, Kultur und Freizeit zu entwickeln. Die City muss ein wirtschaftlich starker Motor für ganz Bremerhaven sein, ein Ort für Begegnung, aber auch für Innovation und Kreativität“, begründete Handelskammer-Vizepräses Stephan Schulze-Aissen das Engagement der Handelskammer.

Bereits beim Wirtschaftsempfang im September 2023 hatte der Architekt Andreas Heller erste Einblicke in die Impulsstudie gegeben, die er im Auftrag der Handelskammer erarbeitet und nun bei der Vortrags- und Diskussionsveranstaltung am 5. Dezember tiefergehend vorgestellt hat.

„Die Studie enthält viele kreative Ideen und Ansätze“, sagte Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Matthias Fonger bei der Podiumsdiskussion. „Die Kammer will damit nicht die Stadtplanung vorlegen, sondern Impulse setzen, die dann in die Stadtplanung einfließen können.“ Aus dem Magistrat waren Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) und Bürgermeister Torsten Neuhoff (CDU) der Einladung gefolgt. Das Trio der Koalitionsparteien vervollständigte der FDP-Fraktionsvorsitzende Prof. Dr. Hauke Hilz. Die Opposition in der Stadtverordnetenversammlung vertraten die Fraktionsvorsitzenden Claudius Kaminiarz (Bündnis 90/Die Grünen) und Julia Tiedemann (Bündnis Deutschland).

Aufenthaltsqualität muss verbessert werden

In seiner Studie hat Andreas Heller eingehend die Ausgangslage im öffentlichen Raum analysiert. „Das Faszinierende an der Innenstadt von Bremerhaven ist die Mischnutzung von Wohnen, Forschung, Bildung, Kultur, und Handel. Das ist einzigartig in Deutschland für Städte dieser Größenordnung“, hob er hervor.

Im Detail sieht die Studie aber Bedarf bei öffentlichem Grün, allgemeinen Arbeitsplätzen und Büroflächen, Angeboten für Kinder und Jugendliche, Fahrradstellplätzen, öffentlichen Toiletten, im gastronomischen Angebot und in der Warengruppe Lebensmittel und Reformware.

Übergeordnete Aufgabe sei es, die Aufenthaltsqualität in der Fußgängerzone zu erhöhen. „Eine gute Stadt ist wie eine gute Party. Die Leute bleiben dort länger als nötig, wenn sie sich wohlfühlen“, zitierte Heller den Kopenhagener Stadtplaner und Architekten Jan Gehl. Dazu könnten attraktivere Hafenkanten und mehr Begrünung beitragen – im Straßenraum, auf kleinen Freiflächen, an Fassaden, auf Dächern. Die Impulsstudie empfiehlt auch, in Zusammenarbeit mit den Eigentümerinnen und Eigentümern die Häuserecken zu attraktivieren und die einzelnen „Mini-Quartiere“ der Innenstadt – sprich deren Häuserblocks – wieder erlebbar zu machen. „Eine Stadt muss nicht nur funktional sein, sondern muss auch schön sein, damit man bleibt“, sagte Heller.

„Ich freue mich über jeden, der Impulse beibringt, die Innenstadt weiterzuentwickeln“, betonte Oberbürgermeister Melf Grantz. Er rief auf die Frage von Moderator Christoph Linne, Chefredakteur der Nordsee-Zeitung, aber auch in Erinnerung: „Es gibt schon zehn konkrete Projekte, die über ein Bundesprogramm und mit breit angelegter Öffentlichkeitsbeteiligung in einer Zukunftswerkstatt entwickelt werden.“ Als Beispiele nannte er ein neues Jugendgästehaus, einen möglichen Umzug der Stadtbibliothek, die Begrünung der Innenstadt und die Schaffung einer Markthalle.

Wegeverbindungen auf allen Ebenen

Die größte Baustelle sind zweifelsohne die Wegeverbindungen in der Innenstadt. Große Bedeutung misst Hellers Studie dabei den Querachsen von der Geeste bis zur Weser bei, die für eine bessere Vernetzung von Fußgängerzone und Havenwelten sorgen könnten. Noch wirken Columbus Center und besonders die Columbusstraße wie ein Riegel. „Die ‚Mauer‘ muss weg“, fordert Heller und möchte „das Trennende zum Verbindenden“ machen.

Da mit der „Oberen Bürger“ im Columbus Center eine zweite Ebene bereits etabliert sei, müsse diese Verbindung auch in mehreren Ebenen gedacht werden, rät Heller: Vom Kirchplatz vor der Großen Kirche über das Columbus Center, das Eulenhof-Gelände bis hin zum „Mein Outlet“ und dem Klimahaus Bremerhaven. Sein Vorschlag ist, die Columbusstraße komplett zu überdachen und diesen Vorbau entsprechend zu begrünen. „So wird das Columbus Center von einer Sackgasse zur Havenbühne“, hob der Architekt hervor.

Im Erdgeschoss wirft die Studie die Idee eines Durchlasses zwischen den nördlichen Türmen des Columbus-Centers ins Rennen. Für den Alten Hafen schlägt Heller vor, die Querverbindung über schwimmende Pontonbrücken herzustellen. Vor allem müsse aber die unattraktive Columbusstraße reduziert und für den Fußverkehr aufgewertet werden. An der Ecke Columbus- und Keilstraße gibt die Studie den Impuls, einen Kreisverkehr einzurichten.

Erster Schritt auf dem Ex-Karstadt-Gelände

Der erste Schritt vom Problem zur Lösung wird auf dem Ex-Karstadt-Gelände gegangen. „Es war eine kluge Entscheidung, Karstadt zu kaufen“, lobte Vizepräses Schulze-Aissen. „Jetzt müssen schnell klare Regeln und Rahmenbedingungen für potenzielle Investoren geschaffen werden.“

Am zügigen Abriss führt auch für Oberbürgermeister Melf Grantz kein Weg vorbei: „Wir müssen diese städtebauliche Sünde beseitigen.“ Das Geld für den Abriss stünde über den Corona-Kredit „Bremerhaven-Fonds“ nur befristet zur Verfügung. Man verhandele aktuell mit fünf Investoren für das Ex-Karstadt-Grundstück, informierte er. „Doch die Rahmenbedingungen des Marktes sind im Moment alles andere als ideal.“

Neben der reinen Investorlösung oder der alleinigen Umsetzung durch die Stadt führte Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Fonger eine weitere Option ins Feld: eine öffentlich-private Partnerschaft. „Vielleicht können wir hier öffentliches Interesse und privates Investment so verzahnen, dass es eine städtebaulich gute Lösung gibt.“

„Unsere Erwartungshaltung und Bitte an die Politik und Verwaltung ist, zügig in die konkrete Umsetzung zu gehen“, sagte Schulze-Aissen. „Das sollten wir jetzt umsetzen. Denn wenn wir es jetzt umsetzen, sind wir in Bremerhaven schneller als alle anderen.“

Damit lag er auf einer Wellenlänge mit dem Oberbürgermeister. Grantz skizzierte den Zeitplan: „Wir haben das niederländische Planungsbüro ‚De Zwarte Hond‘ beauftragt, eine städtebauliche Rahmenplanung vorzulegen. Diese erwarten wir im März und April.“ Dann werde unter Beteiligung der Öffentlichkeit noch im ersten Halbjahr 2024 entschieden, wie es weitergeht, versicherte das Stadtoberhaupt. Zwischen 70 Millionen Euro und „einem dreistelligen Millionenbetrag“ müsse die Stadt dabei in den kommenden Jahren in die Innenstadt investieren, schätzten die beiden Magistratsmitglieder im Podium.

Oft wurde in der Diskussion die notwendige Zusammenarbeit aller Beteiligten beschworen. Vieles könne nur gemeinsam realisiert werden, wenn Politik, Verwaltung und Wirtschaft zusammenarbeiten. „Wir alle, die wir hier sitzen, wollen die Stadtgemeinde voranbringen. Ich bin mir sicher, dass wir gute und transparente Lösungen erarbeiten werden“, sagte Melf Grantz.

Denn bei allen Differenzen in Detailfragen ist eines unstrittig. In den Worten von Heller: „Bremerhaven hat ein unglaubliches Potenzial – und es bedarf nur einiger weniger Stellschrauben, dass es passt.“ Vollstes Vertrauen drückte auch Dr. Fonger aus: „Wir bauen mit den Havenwelten auf einer wirklich sensationellen, deutschlandweit einmaligen Entwicklung auf. Jetzt müssen wir nur den nächsten Schritt machen.“