Die junge Firma Just Add AI erregt mit ihren KI-Lösungen für verschiedene Branchen bereits internationale Aufmerksamkeit. CEO Roland Becker, der auch das Cluster Bremen.AI mitgegründet hat, sieht vielversprechende Einsatzmöglichkeiten in den meisten Unternehmen – sofern das Management offen für Neues ist.
WiBB: Sind Unternehmen inzwischen offen für KI oder ist es für Sie noch schwierige Überzeugungsarbeit?
Becker: Die Unternehmen werden immer offener. Allerdings stehen Hersteller und Dienstleister von komplexen Lösungen – nicht nur KI – wegen der Pandemie vor einer schwierigen Aufgabe, weil es nicht leicht ist, Geschäfte mit Leuten zu machen, die man nicht persönlich kennt. Der Prozess der Vertrauensbildung ist viel schwieriger, gerade bei neuen Themen wie KI. Das geht virtuell zwar auch, wir haben jetzt auch schon den einen oder anderen größeren Auftrag über rein virtuelle Kontakte hereinholen können, aber es ist deutlich schwieriger. Das Paradoxe daran ist, dass viele Unternehmen gerade jetzt in der Pandemie verstärkten Bedarf an intelligenten Lösungen für die Digitalisierung hätten.
Gibt es Branchen, für die KI bereits besonders interessant ist?
Es gibt einfache, schnell umsetzbare Lösungen für jedes Geschäft. Aber es müssen zwei Dinge zusammenkommen: Verfügbares Kapital und ein Management, das diesen Weg gehen möchte. Das Management ist fast noch das Wichtigere, denn es ist ein landläufiger Irrglaube, dass KI-Lösungen Millionen kosten. Völliger Quatsch. Man kann KI-Lösungen, die im Alltag funktionieren und einen Mehrwert bieten, maßgeschneidert fürs Unternehmen schon ab 25.000 Euro bekommen. KI kann sich jeder leisten.
Welche Entwicklungsperspektiven sehen Sie für Just Add AI?
Wir haben JAAI Ende des Sommers 2017 gegründet und sind jetzt 21 Leute. Im Jahr 2020 haben wir unseren Umsatz und auch den Gewinn verdoppelt; dieses Jahr wollen wir uns noch einmal verdoppeln. Wir haben jetzt schon zwei Tochterunternehmen ausgegründet, Botario und Scoutastic. Botario ermöglicht die automatisierte Bearbeitung von Anfragen per Sprach- und Chatbot. Wir bauen damit beispielsweise gerade ein dreisprachiges System für Terminbuchungen bei einem Luxemburger Unternehmen.
Mit Scoutastic unterstützen wir das Scouting im Profifußball. Leverkusen und Werder dürfen wir als Referenzen schon nennen, wir haben aber auch weitere Vereine und sprechen aktuell mit der halben Premier League. Bei Scoutastic hat Transfermarkt mit 50,1 Prozent die Mehrheit übernommen, dadurch haben wir jetzt eine einzigartige Datenbasis und einen unglaublichen Marktzugang.
Wir planen in diesem Jahr noch mindestens eine weitere Ausgründung im Bereich Dokumentenmanagement. Vielleicht gründen wir auch noch eine Tochterfirma im Bereich Robotics aus. Bei einem Automobilhersteller steuern wir zum Beispiel mehrere Roboter mit KI und in einem anderen Projekt prüfen wir automatisiert die Qualität von Spritzgussteilen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wollen wir auf 60 bis 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hochskalieren und sieben bis zehn Tochterfirmen haben.
Die Robotik ist ein schwieriges Feld für den Einsatz von KI, weil reale Objekte manipuliert werden müssen, nicht nur virtuelle. Sie sehen dennoch schon jetzt vielversprechende Anwendungen?
Ja, auf jeden Fall. Was wir im Moment in der Automobilproduktion machen, ist ein gutes Beispiel: Dort fahren die Autos auf dem Förderband und bewegen sich, während Teile angeschraubt werden. Damit der Roboter automatisch etwas verschrauben kann, muss er den Mittelpunkt der Schraube ganz genau finden. Mit klassischen Methoden hat das aufgrund der Bewegung nicht präzise genug funktioniert. Aber mit KI ist die Aufgabe fast schon trivial. Es gibt unendlich viele Einsatzmöglichkeiten in der Fertigung, bei denen die nötige Präzision ohne KI bisher nicht geliefert werden konnte.
Im Fußball kursiert der Name Jiří Pavlenka als Beispiel eines Spielers, den Werder mit KI-Unterstützung gefunden hat. Können Sie weitere Namen nennen?
Ich darf nicht über konkrete Spieler sprechen. Das datengestützte Scouting befindet sich insgesamt in der Bundesliga nach wie vor in den Kinderschuhen. Nur Bayern beschäftigt schon ein wirklich großes Team hochqualifizierter Data Scientists, die meisten anderen Vereine in Deutschland haben maximal einen oder zwei Spezialisten hierfür, wenn überhaupt. In der Premier League geht da auch schon etwas mehr. Werder muss man zugute halten, dass sie damals gesagt haben: „Wir kennen das Thema KI zwar noch nicht, setzen aber auf die Zukunft und wollen diesen Weg gehen.“ Dass ein Verein wie Werder mit so etwas vorangeht, ist schon beachtlich.
Warum setzen Sie so frühzeitig gezielt auf Ausgründungen von Geschäftsbereichen wie Scoutastic und Botario?
Wir skalieren unser Geschäft über die Ausgründungen. Das Projektgeschäft wächst nur über weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wir wollen aber auch über Software-Produkte und KI-Module wachsen. Das funktioniert am besten in klar abgegrenzten Tochterunternehmen.
Außerdem ist es unser Ziel, für unsere Hauptfirma absolute Topleute zu bekommen. Viele von denen lassen sich nicht so leicht für eine One-Product-Company begeistern, sondern wünschen sich Abwechslung. Wenn wir eine Software haben, die schon bei mehreren Kunden zum Einsatz kommt und Geld verdient, dann gründen wir dafür eine eigene Firma und nehmen dort auch Investoren oder strategische Partner an Bord, die das Wachstum unterstützen können.
Weitere Informationen: justadd.ai
Roland Becker produziert gemeinsam mit Dr. Sirko Straube, stellvertretender Leiter des DFKI Robotics Innovation Center, einen Podcast zum Thema KI. Unter thinkreactor.com sowie auf Podcast-Plattformen können alle Folgen angehört werden. Einen guten Einstieg bietet Folge 008 mit DFKI-Chef Prof. Frank Kirchner.