Intelligentes Verhalten automatisieren

Das 30-köpfige KI-Team der BTC entwickelt eine Lösung für den Test des sicheren Betriebs autonomer Trucks. Auch beim Wasserstoff-Großprojekt „Clean Hydrogen Coastline“ wird künstliche Intelligenz benötigt, um komplexe Netzwerke effizient zu steuern.

Bis selbstfahrende Autos die Bremer und Bremerhavener Innenstädte dominieren, wird es noch Jahrzehnte dauern, schätzt Dr. Ulrich Keil, Leiter der KI- und Cyber-Security-Teams bei der BTC AG. Wesentlich schneller sei mit den ersten Serienzulassungen für autonom fahrende Trucks auf deutschen Autobahnen zu rechnen – nämlich bereits in fünf bis sechs Jahren. Die ersten experimentellen Fahrzeuge sind bereits unterwegs und die BTC AG ist in enger Zusammenarbeit mit seiner Tochter BTC Embedded Systems maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt: Sie entwickelt in Zusammenarbeit mit MAN Truck & Bus eine Art Fahrprüfung für das autonome Fahrzeug.

Der Bedarf ist groß: Für Logistik-Unternehmen wird es immer schwieriger, ausreichend Personal zu finden, und die Kosten der Fahrer machen laut Keil bereits jetzt rund die Hälfte der Gesamtkosten aus. „Autonom fahrende Trucks werden daher nicht die menschlichen Fahrer verdrängen, sondern erst einmal die Lücken füllen auf den großen Überlandstrecken“, sagt er.

Die Anforderungen an das System sind auf den Autobahnen deutlich begrenzter als im Stadtverkehr. Technisch sei die Umsetzung immer noch anspruchsvoll, aber machbar, sagt Keil. Die Entwicklung beinhaltet jedoch ein Dilemma: Bevor ein selbstfahrender Lkw die Zulassung erhält, muss er seine Sicherheit nachweisen. Und um die Sicherheit nachzuweisen, muss er fahren. Dies stellt schon für die derzeit verfügbaren Fahrerassistenzsysteme eine Herausforderung dar, weil sie immer komplexer werden. Bei einem komplett autonom fahrenden Lkw ist die Komplexität laut Keil jedoch derart hoch, dass man mehr als eine Milliarde Kilometer fahren müsste, um zu beweisen, dass er alle relevanten Szenarien sicher beherrscht.

„Das ist technisch nicht machbar, viel zu teuer und umwelttechnisch auch nicht zu begründen“, sagt er. Die Branche stehe daher gemeinsam mit Organisationen wie dem TÜV vor der Aufgabe, ein Zulassungsverfahren zu erarbeiten, das sich bewältigen lässt und gleichzeitig die Sicherheit gewährleistet. „Da kommen dann KI und erweiterte Statistik ins Spiel“, so Keil.

Auch die Fahrprüfung nutzt an wichtigen Stellen KI

BTC Embedded Systems hat daher gemeinsam mit dem KI-Team der BTC AG in Form einer Testplattform eine High-tech-Fahrprüfung für autonome Fahrzeuge entwickelt. Die Fahrzeugsteuerung wird systematisch daraufhin getestet, ob sie alltägliche Fahrsituationen zuverlässig bewältigt, geltende Regeln einhält und auch mit ungewöhnlichen Situationen akzeptabel umgehen kann. Hier ist jedoch die Zusammenarbeit mit Verkehrsexperten aus Fleisch und Blut für die Qualität und Vertrauenswürdigkeit eines solchen Systems entscheidend – auch und gerade die Fahrprüfung muss sich beweisen, schließlich soll sie die Anforderungen aus mehr als einer Milliarde Straßenkilometern mit vertretbarem Aufwand darstellen. Die Testplattform muss entwickelt, trainiert und auch selbst getestet werden, um gegenüber dem TÜV ihre Eignung nach den aktuellen und zukünftig noch höheren Sicherheitsstandards zu beweisen.

Regionale Logistikunternehmen haben laut Keil noch einige Jahre Zeit, ehe sie sich intensiv mit den autonomen Fahrzeugen auseinandersetzen müssen. Wenn die ersten selbstfahrenden Lkw gegen Ende dieses Jahrzehnts die Serienzulassung erhalten, werden die Modelle wahrscheinlich zunächst noch vergleichsweise teuer sein. Darüber hinaus muss die Infrastruktur angepasst werden, damit passende Terminals für die Fahrzeuge zur Verfügung stehen und bei Bedarf auch menschliche Fahrer zusteigen können. Da ein Fuhrpark auch nicht über Nacht ausgetauscht wird, rechnet Keil mit einem fließenden Übergang, der sich über viele Jahre bis Jahrzehnte erstrecken wird.

Dennoch sei das Thema KI schon jetzt für Automobilindustrie- und Logistikunternehmen sehr relevant, sagt er. KI-Kompetenzen würden zunehmend wichtiger bei Aufgaben wie der Routenplanung, der Versorgung mit Ersatzteilen und der Steuerung der gesamten Lieferkette. Die Abbildung des Lieferkettengesetzes sei beispielsweise eine Anforderung, die sich mit KI gut optimieren lasse.

Wasserstoff intelligent erzeugen und nutzen

Die Prinzipien lassen sich auch auf andere komplexe Netzwerke übertragen. So unterstützt BTC aktuell die Konzernmutter EWE im ambitionierten Wasserstoffprojekt „Clean Hydrogen Coastline“, das den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur für den Nordwesten zum Ziel hat. Dazu zählen eine große Elektrolyseanlage für die Erzeugung von grünem Wasserstoff in Emden, eine etwas kleinere Anlage bei den Stahlwerken Bremen, ein Kavernenspeicher zwischen Oldenburg und Bremen sowie ein Pipelinesystem, das diese Stationen miteinander verbindet und weitere Anschlüsse herstellt.

Für Industriebetriebe wie ArcelorMittal erfordert die Erzeugung und -nutzung des Wasserstoffs einen stets aktuellen Überblick über zahlreiche ineinandergreifende Faktoren. Ist es gerade sinnvoll, den Wasserstoff einzukaufen oder lieber den Strom, um den Wasserstoff selbst zu erzeugen? Welche Kapazitäten stehen aktuell bei den Elektrolyseuren, Gasleitungen und Speichern zur Verfügung? „Das ist eine hochdimensionale Knobelaufgabe“, erklärt Ulrich Keil. „Da fließen auch Daten von außen ein, zum Beispiel Wetterdaten und Marktdaten über aktuelle Preise.“ An dem Experiment ist darüber hinaus ein regionaler Nutzfahrzeughersteller beteiligt, der Wasserstoff für seine Flotte nutzt. Gemeinsam soll ermittelt werden, wie die Wasserstoffinfrastruktur für den Verkehrssektor optimiert werden kann.

www.btc-ag.com

KI-Anwendungen für den Mittelstand

Die Auswertung von Daten aus Industriemaschinen zählt aktuell zu den beliebtesten Anwendungen der künstlichen Intelligenz im produzierenden Gewerbe. Informationen über Umdrehungszahlen, Schwingungen, Stromverbrauch oder Temperaturen können Einblicke in den Zustand der Maschine liefern und eine rechtzeitige Wartung ermöglichen, bevor ein ungeplanter Ausfall die Kosten in die Höhe treibt.

„Diese Anomalieerkennung ist mit fast 90 Prozent der am häufigsten angewandte Fall in der Industrie“, berichtet BTC-Vorstand Percy Hamer. Für eine Windturbine habe BTC beispielsweise eine KI zur simultanen Analyse von 70 unterschiedlichen Sensoren entwickelt. „Das Verfahren findet heraus, welche Sensoren in Relation zueinander an einer Anomalie beteiligt sind, und es kann den Benutzer dann darauf stoßen: ‚Schau Dir mal diese drei Wertekombinationen an. Gemeinsam sind die ungewöhnlich.‘ Der Spezialist kann draufschauen und sagen: ‚Oh, bei der Windturbine steht das eine Blatt falsch.‘ Das ist aufgrund der schieren Datenmengen für menschliche Nutzer nicht zu leisten.“

Grundsätzlich empfiehlt Hamer auch allen mittelständischen Unternehmen, sich mit dem Thema KI zu beschäftigen und passenden Anwendungsbeispielen beraten zu lassen. „Der Effekt, den man erzielen kann, ist oft sehr hoch“, sagt er. „Es beginnt oft mit so einfachen Dingen wie der Aktivierung der KI-Lizenz Copilot in MS Office und findet seinen Weg bis in die individuellen Prozesse im Kern der Wertschöpfung.“

Bild oben:
Die ersten autonomen MAN-Trucks sind bereits testweise auf der Straße unterwegs. Die BTC AG entwickelt gemeinsam mit dem Hersteller die „KI-Fahrschule“ für die Trucks.
Foto: MAN