Die Anforderungen an Hochschulen wandeln sich: Sie sollen eine aktivere Rolle bei der Transformation der Gesellschaft und der Wirtschaft spielen als in der Vergangenheit. Gleichzeitig müssen sie Fachkräfte für einen Arbeitsmarkt ausbilden, der sich weiter rapide verändern wird. Die Bremer und Bremerhavener Hochschulen setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte.
Hochschulen als Labore für die Gesellschaft – diesen Gedanken setzen die vier staatlichen Einrichtungen des Landes Bremen zurzeit in einem gemeinsamen Projekt um, in dem sie verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit erproben. In Bremerhaven geht es um die Müllvermeidung, an der Hochschule Bremen um die Fahrradmobilität, an der Hochschule für Künste (HfK) um klimafreundliche Transporte und an der Universität Bremen um die Steigerung der Energieeffizienz in einem vielfältigen Gebäudebestand. Die Hochschulen verbinden dabei Lehrveranstaltungen mit der Gewinnung von Forschungsdaten und der aktiven Steigerung der Nachhaltigkeit vor Ort. Praktisch nebenbei haben sie damit auch 1 Million Euro an Fördermitteln des Bundesforschungsministeriums für Bremen eingeworben.
Die Rektorin der Universität Bremen, Prof. Jutta Günther, sieht in dem Projekt ein Beispiel dafür, wie die Hochschulen den gesellschaftlichen Wandel aktiv unterstützen. „Wir können als Universität ein sehr guter Impulsgeber für die Region sein“, betont sie. Das Thema Nachhaltigkeit stehe aufgrund der drängenden Herausorderungen besonders im Fokus. Als „Flaggschiffprojekt“ bezeichnet sie dabei das Großvorhaben Hybit, das die Grundlagen für die Entwicklung einer norddeutschen Wasserstoff-Ökonomie legen soll. „Da arbeiten wir ganz eng mit dem Stahlwerk und der SWB zusammen“, so Günther.
Neuer Anlauf bei der Exzellenzstrategie des Bundes
Die Kontakte zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sind bereits vielfältig, aber noch deutlich ausbaufähig. Vielen Unternehmen ist vermutlich nicht bewusst, dass sie möglicherweise auch in ihrem Fachgebiet herausragende Forschung direkt vor der Haustür haben. Die Universität Bremen durfte sich schon von 2012 bis 2019 offiziell als „Exzellenzuniversität“ bezeichnen, nachdem sie im Zuge der Exzellenzinitiative des Bundes – die sich jetzt Exzellenzstrategie nennt ¬– als eine von elf deutschen Hochschulen für den Titel auserkoren worden war. Aktuell laufen die aufwändigen Vorbereitungen, um 2026 wieder in die höchste deutsche Universitätsliga aufsteigen zu können.
Dabei geht es nicht nur um die 12 bis 15 Millionen Euro pro Jahr, die der Bund den Gewinnern zuschießt. „Dass wir den Titel Exzellenzuniversität hatten, hat uns international sichtbarer gemacht“, berichtet die Rektorin. Wenn Forscherinnen und Forscher weltweit nach Kooperationspartnern suchen, orientieren sie sich laut Günther unter anderem an derartigen Rankings. Aber auch für das Studierendenmarketing sei der Titel hilfreich – über alle Fachbereiche hinweg. „Das ist ein Signaleffekt.“
Bevor die Universität sich um den Titel bewerben kann, muss sie jedoch mindestens zwei Exzellenzcluster bewilligt bekommen. Auch dort ist die Konkurrenz massiv: 70 Cluster werden ab 2025 mit jeweils drei bis zehn Millionen Euro pro Jahr gefördert, allerdings gehen 57 mit einem Vorsprung ins Rennen, da sie bereits jetzt dazugehören und „nur“ einen Folgeantrag stellen müssen. Darunter ist auch das Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (Marum) der Uni Bremen. Auf die 13 zusätzlichen Cluster entfallen rund 150 Neuanträge, davon drei aus Bremen.
Die neu eingereichten Projekte der Uni Bremen stammen aus den Material- und Ingenieurwissenschaften, den Sozialwissenschaften und der Informatik. In „Die Mars-Perspektive“ geht es um die knappen Ressourcen auf dem Planeten Mars und die Frage, ob es aus ingenieur- und materialwissenschaftlicher Perspektive überhaupt möglich wäre, längerfristig Leben auf dem Mars zu etablieren. Das Projekt soll damit einen Impuls für die Entwicklung innovativer Produktionstechnologien auf der Erde setzen.
Im Bereich Kognitive Robotik hat die Universität einen gemeinsamen Antrag mit den Universitäten Bielefeld und Paderborn eingereicht. Im Gegensatz zu aktuell gehypten Systemen der Künstlichen Intelligenz (KI) sollen künftige Systeme verstehen können, was sie tun und warum sie es tun. Im Rahmen des Projekts sollen Roboter entwickelt werden, die im Austausch mit Menschen lernen – vergleichbar mit einem Kind, das nachfragt, wenn es etwas nicht verstanden hat, aber auch erkennt, wenn jemand anders Hilfe benötigt.
Die Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wollen untersuchen, inwiefern globale Solidarität als Antwort auf globale Herausforderungen gefördert werden kann. Dafür möchten sie die Entstehung, das Gelingen und das Scheitern globaler Solidarität analysieren.
Hochschule Bremen: 10.000 Unternehmenskontakte
Angesichts solcher Großprojekte haben kleine und mittlere Unternehmen oft Hemmungen, sich mit ihren alltäglichen Fragestellungen an die Universität zu wenden. Leichter fällt dies vielen bei der Hochschule Bremen. Mit dem Profil der angewandten Wissenschaft, Praxisorientierung und Internationalität sei die Hochschule „besonders prädestiniert, auf die relevanten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen des Landes Bremen zu reagieren“, betont Rektorin Prof. Karin Luckey, die Ende August nach fast 15 Jahren Amtszeit in den Ruhestand gehen wird. „Insofern sind wir ein wichtiges Transformationslabor und auch eine Institution, die mit ihrer Praxisorientierung einen wichtigen Beitrag leisten kann: zur Fachkräftesicherung, zur Unterstützung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, aber auch von großen Playern wie Airbus“, so Luckey.
Die Hochschule habe sich in den vergangenen Jahren schon sehr bewusst der Frage gestellt, welchen Mehrwert sie für Bremen leisten kann. „Wir haben beispielsweise sehr stark darauf gesetzt, unsere Transferstrategie weiterzuentwickeln – im engen Austausch mit Unternehmen. Wir haben zudem unsere Forschungsschwerpunkte genau auf die Clusterthemen gelegt, die für das Land Bremen wichtig sind, wie die digitale Transformation, Energie, Klimawandel, Mobilität, Logistik, den Gesundheits- und Pflegesektor oder den Bereich der sozialen Innovationen. Auch unsere Studiengänge haben wir bedarfs- und nachfrageorientiert weiterentwickelt.“
Viele Studierende entwickeln schon frühzeitig eine enge Bindung zu Unternehmen. Jeder zehnte Bachelor-Studierende ist zurzeit ein dual Studierender. Und jeder Studiengang der Hochschule beinhaltet ein oder mehrere Praxissemester. „Insofern haben wir derzeit mindestens 10.000 Unternehmenskontakte in Bremen und weltweit“, berichtet Luckey. Rund 90 Prozent der Abschlussarbeiten würden in enger Kooperation mit Unternehmen geschrieben – zu unternehmensrelevanten Themen.
Hochschule Bremerhaven: Wasserstofftechnologien für die Region
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Hochschule Bremerhaven. Mit den praxisintegrierten dualen Studiengängen Lebensmitteltechnologie/Lebensmittelwirtschaft und Betriebswirtschaftslehre bietet sie zusätzlich zu den klassischen Varianten eine neue Möglichkeit an: Die Studierenden werden ganz normal von Unternehmen beschäftigt und an die Hochschule Bremerhaven entsendet. So bekommen die Studierenden theoretisches Wissen vermittelt, das sie in zahlreichen Praxisphasen im Unternehmen anwenden können. Insbesondere im Bereich Digitalisierung bringen die angehenden Fachkräfte ihre Unternehmen nach vorne.
In der Forschung bringt sich die Hochschule aktuell verstärkt bei der Entwicklung von Wasserstofftechnologien ein. Sie hat beispielsweise ein Testlabor eingerichtet, um die Möglichkeiten autarker Netze zu untersuchen. Die CO2-neutrale Versorgung großer Areale wie des Gewerbegebiets Lune Delta wird dabei ebenso betrachtet wie die Versorgung kleinerer Netze für die Stromerzeugung auf Schiffen oder die Baustellenstromversorgung ohne Netzanschluss. Ein weiteres Testzentrum soll folgen.
Constructor University: Internationale Arbeitskräfte mit Technologie-Kenntnissen
Die größten Veränderungen hat in den letzten Jahren die Constructor University durchlebt, inklusive der Namensänderung. Die angebotenen Programme sollen nun verstärkt die wichtigen Markttrends widerspiegeln – mit Tendenz in Richtung Technologie, maschinelles Lernen und KI. Mehr als 90 Prozent der Studierenden bleiben nach dem Abschluss in Deutschland, gehen aber meist in andere Großstädte wie Berlin oder München. Die Universitätsleitung sieht viele Möglichkeiten, Anreize zu schaffen, damit die Absolventen auch in der Region Bremen bleiben. Ein Beispiel für eine mögliche Zusammenarbeit sei die Talent-Sourcing-Initiative, die es Unternehmen erlaubt, gemeinsam mit der Universität ein maßgeschneidertes Studienprogramm für ihre Wunsch-Absolventen zu entwickeln und damit eine eigene „Talent-Pipeline“ aufzubauen.
Dr. Stanislav Protasov, der im März zum neuen Präsidenten berufen wurde, nennt als eines seiner wichtigsten Ziele, die Einrichtung durch Industrie- und Unternehmenspartnerschaften stärker in Bremen – und Deutschland insgesamt – zu verankern. Er möchte aber auch das Niveau von Forschung und Lehre weiter anheben. Daher sei es ein weiteres Ziel, mehr weltweit renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu gewinnen. Die Anwerbung neuer Studierender aus der ganzen Welt habe ebenfalls hohe Priorität. „In den letzten zwölf Monaten haben wir stark in diesen Bereich investiert, mit höheren Budgets, einem größeren Marketingteam und neuen Maßnahmen. Außerdem konzentrieren wir uns mehr denn je darauf, die Zahl der hochbegabten Studierenden an der Universität zu erhöhen“, sagt er.
HfK: Absolventen mit kreativen Ideen und praktischem Know-how
Ebenfalls unter neuer Führung befindet sich seit dem 1. Juli die Hochschule für Künste Bremen: Prof. Mirjam Boggasch löste Prof. Roland Lambrette ab. „Die HfK ist ein herausragender Ort des zukunftsorientierten Denkens“, hob sie beim Amtsantritt hervor. „Sie ist eine Hochschule, die Kunst, Design und Musik vereint, fest in Bremen verwurzelt ist und sich durch eine äußerst engagierte, qualifizierte und internationale Gemeinschaft auszeichnet.“
Die künstlerische Freiheit sei im Studium der Künste von zentraler Bedeutung, so Boggasch. „Sie trägt dazu bei, dass sich die Studierenden zu starken individuellen Charakteren entwickeln, die in verschiedenen kreativen Berufsfeldern einen gesellschaftlichen Beitrag leisten: ob in der Gestaltung, im Bereich digitaler Medien, in der Kunst oder der Musik.“ Die Tätigkeitsfelder seien divers – die Absolventinnen und Absolventen arbeiteten unter anderem in der Produktgestaltung, dem Audio-Design, der Buchillustration, der Webentwicklung und den vielfältigen Berufsfeldern im Bereich der Musik.
Zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten
Die einfachste Möglichkeit für Unternehmen, Kontakte zu den Hochschulen aufzubauen, sind Job- und Praktikumsangebote oder Karrieremessen. „Man muss nicht immer gleich an einen Großforschungsauftrag denken“, sagt Uni-Rektorin Jutta Günther. „Es gibt genug Potenzial, um mit kleinen und mittleren Unternehmen zusammenzuarbeiten, die sich keine eigenen Forschungsabteilungen leisten können.“
Prof. Karin Luckey, Rektorin der Hochschule Bremen, lädt Unternehmen auch zu Gesprächen über neue Formen der Personalentwicklung ein – „nicht immer nur in Form großer Studiengänge, sondern eher modular“. So könnten beispielsweise auch Kompetenzen aus der Unternehmensweiterbildung fürs Studium angerechnet werden. „Wir versuchen, mit den Unternehmen passgenaue Lösungen zu finden, damit sie ihren Fachkräftebedarf decken können.“