Hochschule Bremerhaven: Auf dem Weg zur „Open University“

Prof. Alexis Papathanassis hat sich mit seinen Arbeiten zum Kreuzfahrt-Tourismus einen Namen gemacht. Nun möchte er dies auch für die Hochschule Bremerhaven erreichen. Als neuer Rektor steht der 46-Jährige vor der Herausforderung, das Lehrangebot auszubauen, einen Rückgang der Studierendenzahlen zu stoppen und eine Trendwende herbeizuführen. Wie das geschehen kann, skizziert er im Interview.

WiBB: Sie werden über das Land Bremen hinaus gerne als Experte für Themen der Kreuzfahrtindustrie zitiert. Jetzt sind Sie – für Außenstehende überraschend – Rektor der Hochschule Bremerhaven geworden. Muss die Tourismusbranche ausgerechnet in der aktuellen Krise auf Sie verzichten?

Papathanassis: Zunächst einmal eine kleine Klarstellung: Den Begriff Experte mag ich nicht so gerne; er wird etwas inflationär und nicht immer mit Berechtigung genutzt. Ich bin Wissenschaftler, der sich in Forschung und Lehre mit Tourismus und Kreuzfahrt beschäftigt. Experten wissen, aber Wissenschaftler lehren und schaffen Wissen. Und als Dekan des Fachbereichs 2 – Management und Informationssysteme – bin ich seit vielen Jahren in die Hochschulleitung und die allgemeinen Themen der Hochschule eingebunden.

Deswegen ist eigentlich keine Überraschung, dass ich nach dem Rückzug des designierten Rektors kandidiert habe. Die Hochschule steht vor großen Herausforderungen, die wir gemeinsam mit allen Beteiligten an der Hochschule, in der Stadt und im Land Bremen lösen werden. So schwer es mir fällt, da muss der Kreuzfahrt-Tourismus eine Weile zurückstehen.

WiBB: Vor welchen Herausforderungen steht die Hochschule?

Papathanassis: Im Prinzip lässt sich das auf drei grundlegende Themen reduzieren, die in der langfristigen Entwicklung der Hochschule ihren gemeinsamen Nenner haben. Thema 1: Wir registrieren seit geraumer Zeit rückläufige Zahlen von Studienanfängern. Das hängt unmittelbar mit Thema 2 zusammen: Der Wettbewerb zwischen den Hochschulen in Deutschland ist stärker geworden. Das dritte Thema ist die Reaktion darauf: Wir müssen das Angebot der Hochschule vergrößern und unser Profil schärfen – aber in der Hochschulplanung des Landes sind die dafür notwendigen Mittel aufgrund der Pandemie nicht in dem erwarteten Maß bereitgestellt worden.

WiBB: Das klingt nach einer dramatischen Entwicklung.

Papathanassis: Nein, das glaube ich nicht. Jede Organisation geht durch unterschiedliche Phasen. Die Hochschule ist in der Vergangenheit erheblich gewachsen. Aus dieser Phase des Wachsens und der Konsolidierung kommen wir jetzt in die Phase, die eine Flexibilisierung und Neuorientierung erfordert. Das geht am besten aus der Hochschule selbst heraus. Deswegen freue ich mich, dass ich mit der Kandidatur erfolgreich gewesen bin.

Entscheidend für die Zukunft sind aber nicht meine 16 Jahre Erfahrung an der Hochschule, sondern dass wir uns in der Hochschulleitung als Team verstehen, und dass wir alle – die Studierenden wie die Lehrenden – in die Entwicklungen einbeziehen.

WiBB: Welche Ansätze sehen Sie, den Herausforderungen zu begegnen?

Papathanassis: Auch wenn unsere Mittel nicht so groß sind wie erhofft, bleiben wir bei unseren Wachstumsplänen und dem Ziel, die Zahl der Studierenden von jetzt 2870 bis 2025 auf 3700 zu erhöhen. Dafür werden wir unser Studienangebot attraktiver machen – durch neue Studiengänge und durch eine Modernisierung und Optimierung des vorhandenen Studienangebots.

Wir haben schon heute einige Fächer wie den Studiengang Gründung-Innovation-Führung, mit denen wir in Deutschland ohne Konkurrenz sind. Das wollen wir ausbauen. Themenfelder können die Bereiche Soziales und Gesundheit sein. Wenn wir unsere Ressourcen gezielt einsetzen, können wir mit den geringeren Mitteln aus dem Wissenschaftsplan zusätzliche Angebote schaffen – sicherlich nicht in dem ursprünglich geplanten Umfang, aber eben etwas Zusätzliches.

Für das Wintersemester 2022/23 werden wir zwei neue Bachelor-Studiengänge anbieten: Soziale Arbeit und Physician Assistant. Beide entsprechen den aktuellen regionalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anforderungen, sind sehr praxisorientiert und haben ein hohes Employability-Potenzial für unsere Absolventen und Absolventinnen.

WiBB: Haben Sie eine Vision, wie die Hochschule Bremerhaven in fünf oder zehn Jahren aussehen wird?

Papathanassis: Sie erinnern sich an das Wort von Helmut Schmidt – wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Als Tourismusprofi habe ich die Erfahrung gemacht, dass in turbulenten Zeiten eine Vision nur so gut ist wie der Pragmatismus und die Konkretheit der entsprechenden Ziele und Pläne. Bereits zu meiner Kandidatur habe ich einen Plan erarbeitet, durch welche Maßnahmen wir welche Wirkung erzielen können.

Vereinfacht gesagt: Statt mich auf die Restriktion zu fokussieren, nutze ich den Raum, der mir zur Verfügung steht. Dieser Plan ist der Maßstab für das, was wir erreichen wollen und schließt sowohl eine Neustrukturierung als auch verstärkte Marketingmaßnahmen ein. Selbst wenn wir keinen Euro mehr bekommen, werden wir in kurzer Zeit wieder auf die Zahl von Studierenden vor dem Rückgang kommen.

Der Begriff, der unsere Bestrebungen für die Hochschule am besten auf den Punkt bringt, lautet: Open University. Zu dieser Offenheit gehört, dass jeder jeden einzelnen unserer Schritte verfolgen und mit uns darüber diskutieren kann. Dazu gehört auch, dass wir nach außen offen sind – beispielsweise für die Wirtschaft und die Region. Selbst mein Kalender ist offen: jeder kann ihn im Intranet sehen und einen Termin mit mir eintragen, wenn er etwas mit mir besprechen will.

WiBB: Das klingt dennoch nach einer gewaltigen Aufgabe. Bleibt da noch Zeit für Ihre wissenschaftliche Arbeit im Kreuzfahrt-Tourismus?

Papathanassis: Mir war schon vor der Kandidatur klar, dass sich das eine und andere kaum miteinander verbinden lässt. Aber die Aufgaben, vor denen wir stehen, sind lösbar. Und dann ist wieder Zeit für meine andere Arbeit.