Nicole Lamotte führt den Kunstverein in Bremen. Mehr als 60 Prozent der Mitglieder sind weiblich. Jetzt steht erstmals eine Frau an der Spitze. Die neue Vorsitzerin will „young professionals“ und junge Unternehmer für die Kunstförderung begeistern.
Die Schule war’s nicht. Nicht der Kunstunterricht, nicht die spektakuläre Erstbegegnung mit einem großen Maler oder die überraschende Berührung von einem Kunstereignis. Nicole Lamottes Weg zur Kunst war kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf. Die gebürtige Hamburgerin ist ganz allmählich über zahllose Museumsbesuche und über Reisen zu großen Kunsttempeln wie der Tate in London oder der documenta in Kassel in eine Freundschaft mit der Kunst hineingewachsen, die mit den Jahren immer inniger geworden ist und von ihrer Begeisterungsfähigkeit getragen wurde.
Jetzt ist zu dieser Leidenschaft für Kunst auch eine große Verantwortung gekommen: Nicole Lamotte ist neue Vorsitzerin des Kunstvereins in Bremen. Sie ist die erste Frau an der Spitze dieser Organisation in ihrer bald 200-jährigen Geschichte und lenkt nun die Geschicke eines „Wirtschaftsgutes“, das seinesgleichen in Deutschland sucht.
34 Kunstfreunde waren es, die sich 1823 zusammenfanden, um mit ihrem Geld „die Förderung der Kunst sowie die Belebung und Verbreitung des Kunstsinns in Bremen“ zu betreiben. So schrieben sie es in ihre Satzung, die sie „Gesetze“ nannten. Heute würde man sagen – und so kann man es auch auf der Website lesen –, der Verein war ein „Crowdfunding-Start-up.“ Mit unbeschreiblichem Erfolg, ganz ohne digitale, dafür aber mit vielen „analogen“ Plattformen, sprich: Begegnungen von Mensch zu Mensch.
Chefbotschafterin für das Mäzenatentum
Aus dieser Kerntruppe, den 34 vermögenden und (gemein)wohlmeinenden Bürgern Bremens, sind über den Verlauf von zwei Jahrhunderten mehr als 10.000 geworden. Nicht diese schiere Masse – der Freundeskreis der Kunsthalle in Hamburg ist noch größer – ist das besondere Charakteristikum. Was den Bremer Kunstverein vielmehr so einzigartig macht, ist, dass er privater Träger der Kunsthalle ist. Nicht der Staat wie fast sonst überall in Deutschland hält sie am Laufen, sondern vor allem privates Engagement. „Typisch bremisch“, sagt Nicole Lamotte. Wie auch der Bürgerpark ist die Kunsthalle ein Maß für bürgerschaftliches Engagement, das diese Stadt kennzeichnet.
Die Beziehung von Wirtschaft und Kunst, Zahlen und Poesie
Nun ist Nicole Lamotte Chefbotschafterin dieser Idee. Sie hat, sagt sie, großen Respekt vor der Geschichte des Kunstvereins. Diese Tradition ist aber mehr Fundament denn Bürde, mehr Auftrag denn Last. So sieht sie ihre zentrale Aufgabe darin, den Bestand zu wahren und das Haus für die Zukunft zu sichern – gemeinsam mit dem 15-köpfigen Vorstand und natürlich dem Hauptamt um Direktor Professor Christoph Grunenberg und seinem 60-köpfigen Team.
Was die neue Vorsitzerin dazu prädestiniert, ist ihre intensive Gremienerfahrung. Sie hat lange Jahre, auch federführend, im Förderkreis für Gegenwartskunst mitgearbeitet und ist seit 2009 Mitglied des Vorstandes des Kunstvereins. Zudem bringt die Diplom-Kauffrau die Kompetenzen aus einer ganz anderen Welt mit, sozusagen dem Gegenpol des Schönen und Poetischen; das ist die Welt der Zahlen. Sie ist seit 2006 Geschäftsführerin der Henry Lamotte Services GmbH, des Dienstleistungsarmes der Lamotte-Gruppe, und dort für die Bereiche „Controlling und IT- Prozesse“ der Unternehmensgruppe zuständig.
Mit diesem Verständnis von Wirtschaft und Kunst geht sie nun an ihre neue „hochspannende Aufgabe“ heran. „Mir ist es wichtig“, sagte sie zum Amtsantritt, den Weg der Kunsthalle nach Kräften zu unterstützen, „in ambitionierten Ausstellungen hochkarätige Kunst zu zeigen, Werke nach aktuellen gesellschaftlichen Themen zu befragen und gleichzeitig Publikumsgruppen anzusprechen, die bisher noch nicht den Weg ins Museum gefunden haben.“ Lamotte liegt vor allem daran, jüngere Menschen jenseits des Schulalters stärker anzusprechen, die „young professionals“, die nachfolgende Unternehmergeneration, um hier das Interesse für bürgerschaftliches Engagement wachzuhalten, zu entfachen, einzubinden. Die Kunsthalle müsse ihre Relevanz immer wieder neu unter Beweis stellen, Kunstförderung sei kein Selbstläufer, sie müsse gerade in Pandemie-Zeiten und der rasanten, epochalen gesellschaftlichen Veränderungen immer wieder neu verortet werden.
Neue Angebote für die nachfolgende Unternehmergeneration
„Für die jüngere Generation brauchen wir attraktive Formate“, sagt Nicole Lamotte, vieles wird über die Social-Media-Kanäle gehen müssen, die die Kunsthalle selbst bereits hervorragend bespielt. „Wir müssen die jungen Leute da abholen, wo ihre Interessen sind.“ Bernd Schmielau, ihr Vorgänger im Amt, hat mit der Etablierung des Unternehmenssalons einen vielversprechenden Weg beschritten. Der Salon versteht sich als „Netzwerk für kreativen Austausch und gesellschaftliches Engagement“, eingebettet in die große Tradition mäzenatisch orientierter Bremer Kaufleute. Zu den bisher 27 Mitgliedern gehören auch große, renommierte Bremer Unternehmen. „Bildende Kunst erweitert Horizonte und erlaubt neue Blickweisen“ ist ein Statement des Unternehmenssalons, das Nicole Lamotte ebenso dick unterstreicht wie das Bekenntnis zur „Wahrung und Verbreitung unseres künstlerischen Erbes und der Förderung einer kreativen Zukunft.“ Dieser Doppelaufgabe hat sie sich nun gestellt.