„Die Blockchain wird die Digitalisierung enorm beschleunigen“

Der Hype um Kryptowährungen und Blockchain-Technologien ist zuletzt deutlich abgeflaut. Viele Experten erwarten dennoch, dass diese Themen in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen werden – nicht nur im Finanzsektor, sondern auch in „bodenständigen“ Branchen wie der Logistik und der Nahrungs- und Genussmittelindustrie.

Von Bitcoin hat inzwischen wohl fast jeder gehört, aber die Blockchain-Technologie, auf der die Kryptowährung basiert, ist noch nicht in allen Haushalten ein Gesprächsthema. Dabei wird sie unser Leben nach Meinung vieler Expertinnen und Experten deutlich stärker verändern als die Kryptowährungen.

Die Blockchain erlaubt es, Daten dezentral zu speichern und zu verifizieren, sodass die sichere Übertragung von Werten und digitalen Unikaten ermöglicht wird, ohne dass Banken oder andere Institutionen beteiligt sind. Auch kann der Mensch als Fehlerquelle und Manipulator aus Prozessen herausgehalten werden, wenn es um die Erfüllung von Verträgen geht.

Moritz Schildt, Vorstand des Hanseatic Blockchain Instituts und Gründer der Investmentfirma Coinix, spricht daher auch von „digitalem Vertrauen“, das die Blockchain generiere. „Dieses digitale Vertrauen wird in allen Wirtschaftsbereichen eine Rolle spielen, wo wir heute Zertifikate, Bestätigungen oder Stempel brauchen – also wo es darum geht, die Echtheit von etwas zu überprüfen“, erklärt er und ist überzeugt: „Die Blockchain wird die Digitalisierung enorm beschleunigen.“ Auch der Chefvolkswirt der Bank Donner & Reuschel, Carsten Mumm, rät Unternehmen, sich mit dem Thema Blockchain und mit Kryptowerten vertraut zu machen. Mittlerweile sei klar, „dass zumindest die Blockchain-Technologie einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung unserer Zukunft leisten wird.“

Weg vom Papier mit Stempel und Unterschrift

Schildt, der kürzlich im Ausschuss für Nahrungs- und Genussmittel der Handelskammer Bremen über Innovationspotenziale in dieser Branche referiert hatte, sieht in der Blockchain-Technologie eine Weiterentwicklung des Internet. Es werde nun möglich, Werte so selbstverständlich elektronisch zu übertragen wie Bilder oder Informationen. Darüber hinaus könnten die eigenen Daten künftig wesentlich besser geschützt und gemanagt werden. Überall seien Datenpools entstanden, die von Konzernen wie Google, Facebook oder der Schufa kontrolliert werden, aber auch von staatlichen Einrichtungen wie dem Grundbuchamt. „Wir müssen uns fragen: Wollen wir überhaupt, dass unsere Daten dort liegen?“

Aufgrund dieser neuen Möglichkeiten wird im Zusammenhang mit der Blockchain auch oft vom „Web 3.0“ gesprochen. Diese Entwicklung werde den Finanzsektor stark beeinflussen: „Das Web 3.0 ermöglicht, dass Menschen ohne eine Bank oder eine Kapitalanlagegesellschaft sicher und verlässlich Geld übertragen können“, so Schildt. „Ein anderer Bereich, wo wir einen großen Effekt sehen, ist die gesamte Logistikkette.“ Auch da gehe es darum, Vertrauen herzustellen. Wer hat welche Ware woher bezogen – und wann?

„Am Ende wird dieses digitale Vertrauen in allen Wirtschaftsbereichen eine Rolle spielen, wo wir heute Zertifikate, Bestätigungen oder Stempel brauchen – wo es also darum geht, die Echtheit von etwas zu überprüfen. Da werden wir immer weiter abkommen vom Papier mit Stempel und Unterschrift. Wir werden uns künftig mit einer Blockchain-basierten Anwendung vergewissern, dass das stimmt, was behauptet wird.“

Nachweis des Ursprungs von Produkten

Luxusartikel würden in Zukunft oft einen Chip enthalten, der ihre Authentizität nachweist, sagt Schildt. Bei Produkten des täglichen Lebens müsse ein anderer Weg gefunden werden. Dort lägen die Chancen in der Kooperation vieler Akteure. „Digitales Vertrauen wird zukünftig nicht mehr dadurch entstehen, dass ein einzelnes Unternehmen sagt, es habe ein Produkt oder einen Standard entwickelt. Vertrauen wird dort entstehen, wo Konsortien zusammenarbeiten, ihre Daten miteinander teilen und gegenseitig verifizieren – und wo vielleicht auch die Verbraucher oder die Behörden einen Zugriff auf diese Daten bekommen.“

Diese Möglichkeit sei beispielsweise für den Nahrungs- und Genussmittelbereich eine spannende Perspektive. Die Herkunft von Lebensmitteln werde ein großer Anwendungsbereich der Blockchain werden – „wenn man den Ursprung digital nachweist und nicht mehr dadurch, dass man eine Unterschrift vom Biobauern bekommt.“

Der Weg dorthin führe über die Verknüpfung von „On-chain-Daten“ mit „Off-chain-Daten“. Wenn beispielsweise die Daten aus der Eierproduktion eines Landwirts fälschungssicher mit denen aus der Logistikkette und denen vom Supermarkt verknüpft würden, entstehe ein digital nachvollziehbarer Prozess. „Und ich kann sagen: Moment mal, wenn im Supermarkt heute 10.000 Eier verkauft wurden, können höchstens 5.000 davon Bioeier gewesen sein.“

Fraunhofer sieht Anwendungen in Fertigungsprozessen

Auch im Maschinenbau sehen die Expertinnen und Experten Anwendungspotenzial. Die
Blockchain-Technologie verspreche zahlreiche Vorteile bei der Digitalisierung von Fertigungsprozessen – von mehr Transparenz in Echtzeit bis hin zu einem höheren Automatisierungsgrad, erklärt das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik. Konkret bedeute dies eine Beschleunigung der Durchlaufzeiten, eine Steigerung der Maschinenauslastung und eine Reduzierung der Bürokratie hinter Bestellprozessen. Die Blockchain fungiert als „Vertrauensschicht“ zwischen den am Herstellungsprozess beteiligten Parteien.

Zurzeit versuchen Start-ups, Anwendungen auf Blockchain-Basis zu etablieren. Das Hanseatic Blockchain Institute sieht es als eine ihrer Aufgaben an, die jungen Firmen mit potenziellen Anwendern zusammenzuführen. Weitere Informationen:
https://blockchaininstitute.eu/