Ausländische Fach- und Arbeitskräfte: Viele Erleichterungen, viele Unklarheiten

Die Anwerbung von Fach- und Arbeitskräften aus dem Ausland ist oft mühsam. Unternehmen, die sich dieses Potenzial erschließen, profitieren allerdings dauerhaft von hochmotivierten neuen Kolleginnen und Kollegen.

Der Arbeits- und Fachkräftemangel zählt in den meisten Unternehmen zu den größten Zukunftsrisiken für die Geschäftsentwicklung. Im Rahmen der Handelskammer-Konjunkturbefragung im Herbst 2024 gab die Mehrzahl der befragten Unternehmen in Bremen und Bremerhaven an, trotz der schwachen Konjunktur weiterhin Probleme bei der Besetzung von offenen Stellen zu haben. Nur 17 Prozent meldeten keine Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern.

Um den Pool an potenziellen Arbeitskräften zu erweitern, wird der Blick ins Ausland zunehmend wichtiger. Die Handelskammer Bremen richtete den Fokus bei ihrem „Fachkräftetag 2024“ am 4. Dezember daher auf die Frage, welche Erfahrungen die Unternehmen mit der Rekrutierung auf internationalen Märkten machen. Dabei zeigte sich, dass die Möglichkeiten vielfältig sind und der beste Weg vom individuellen Bedarf abhängt. Gleichzeitig wünschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer weitere Erleichterungen von Politik und Verwaltung, damit der Prozess in Zukunft weniger Zeit kostet und sich für mehr Unternehmen lohnt. Gerade kleinere Betriebe verfügen oft nicht über die notwendigen Kapazitäten, um sich selbst in das Thema einzuarbeiten.

Das Land Bremen braucht jährlich 4000 zugewanderte Fachkräfte

Der Mangel an Fach- und Arbeitskräften hat für das Land Bremen deutlich spürbare Konsequenzen. „Aufträge können nicht angenommen werden, ihre Ausführung wird in die Zukunft verschoben“, betonte Staatsrätin Karin Treu von der Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration in ihrem Grußwort. „Investitionen werden nicht umgesetzt, weil es keine Möglichkeit gibt, einen Termin beim Fachbetrieb zu bekommen. Auf der anderen Seite sehen sich Unternehmen genötigt, Öffnungszeiten zu kürzen, weil keine Servicekraft eingestellt werden konnte. Wertschöpfung – und damit unser aller Wohl – geht so verloren“, sagte sie. Die Arbeitsbelastung steige für das vorhandene Personal, bis dieses sich auch nach neuen Stellen umsehe – eine potenzielle Abwärtsspirale.

Um diesem Trend zu begegnen, hat der Senat im Jahr 2023 seine Fachkräftestrategie vorgelegt, die auch Maßnahmen für die Fachkräfteeinwanderung vorsieht. Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) benötigt allein das Land Bremen jährlich rund 4000 zugewanderte Fachkräfte – bundesweit sind es 400.000 pro Jahr. „Gleichzeitig ist es unser Bestreben, diejenigen stärker zu integrieren, die bereits in den vergangenen Jahren zugewandert sind“, so die Staatsrätin. „Der Weg in die Beschäftigung ist nicht nur eine Frage der Fachkräftesicherung, sondern auch der gelebten Integration.“

Vielfältige Neuerungen auf Bundesebene

Auch die Bundesregierung hat auf den Bedarf reagiert und das Einwanderungsgesetz von 2020 im Jahr 2023 noch einmal weiterentwickelt. Im ersten Jahr nach Inkrafttreten der Neuregelung wurden laut Bundesinnenministerium rund 200.000 Visa zu Erwerbszwecken erteilt, was einem Plus von mehr als 10 Prozent gegenüber den vorausgegangenen zwölf Monaten entsprach.

Grundsätzlich sei die Bundesrepublik bei den Regelungen für einwanderungswillige Fachkräfte ohnehin schon gut aufgestellt, betonte Dr. Holger Kolb vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration in seinem Impulsvortrag. „Die OECD hat bereits 2013 festgestellt, dass die Regelungen für die Gruppe der Fachkräfte in Deutschland die liberalsten im OECD-Raum sind.“ Als Fachkraft gelten jedoch nur Personen aus Drittstaaten, deren Berufsabschluss bereits als gleichwertig zu deutschen Standards anerkannt ist – eine hohe Hürde.

Die Bundesregierung hat daher in ihrem Reformgesetz nicht nur die Regelungen für Fachkräfte gelockert, sondern auch für Personengruppen in drei weiteren „Säulen“:

Fachkräftesäule
Das Kernelement innerhalb dieser Säule ist die blaue Karte, die auf EU-Recht basiert. Die Bundesregierung hat das erforderliche Mindesteinkommen angeworbener Fachkräfte von 56.800 Euro auf 45.300 Euro gesenkt. Noch niedriger ist die Grenze für sogenannte Mangelberufe in Bereichen wie MINT und medizinischen Heilberufen. Dort liegt der Wert nun bei rund 41.000 Euro.

Erfahrungssäule
In diesem Bereich liegt laut Kolb die zentrale Reform der Bundesregierung, aber „darüber spricht kaum jemand“. Die Erfahrungssäule regelt, dass in nicht reglementierten Berufen auf ein Gleichwertigkeitsanerkennungsverfahren verzichtet werden kann, wenn neben einer ausländischen Qualifizierung auch ein bestimmtes Maß an Berufserfahrung nachgewiesen wird. „Das ist ein Paradigmenwechsel“, so Kolb. „Die Möglichkeit sollte stärker beworben werden. Sie macht es für Unternehmen deutlich einfacher, in nicht reglementierten Berufen neue Arbeitskräfte aus Drittstaaten zu rekrutieren.“ Ebenfalls der Erfahrungssäule zugeordnet ist die sogenannte Anerkennungspartnerschaft. Unternehmen können nun Personen anwerben, die den Anspruch haben, ihre im Ausland erworbenen Qualifikationen in Deutschland anerkennen zu lassen. Unter bestimmten Voraussetzungen muss das Anerkennungsverfahren nun nicht mehr aus dem Ausland gestartet werden, sondern kann komplett nach Deutschland verlagert werden.

Potenzialsäule
Für überbewertet hält Kolb dagegen die Potenzialsäule, deren zentrales Instrument die Chancenkarte ist. Personen, die in einem Punktesystem mindestens sechs Punkte erreichen, können vorläufig für zwölf Monate nach Deutschland kommen, um sich hier einen Arbeitgeber zu suchen. Inwieweit diese Möglichkeit angesichts weit verbreiteter digitaler Kommunikationswege genutzt werde, sei abzuwarten, so Kolb.

Vierte Säule
Diese Säule hat keinen offiziellen Namen, weil es politisch „ein bisschen peinlich ist“, so Kolb. Sie richtet sich an Personen ohne Formalqualifikationen, die theoretisch im Inland zu finden sein könnten, solange es noch Arbeitslosigkeit gibt. Da in Branchen wie der Gastronomie dennoch händeringend Personal gesucht wird, wurden Möglichkeiten geschaffen, Arbeitskräfte ohne Qualifikationen ins Land zu holen. Ein Instrument ist beispielsweise die Westbalkanregelung, die es erlaubt, jedes Jahr insgesamt bis zu 50.000 Arbeitskräfte aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien anzuwerben. Ein weiteres Instrument ist die „kurzzeitig kontingentierte Beschäftigung“ (KKB). Bis zu 25.000 Arbeitskräfte pro Jahr können unabhängig vom Herkunftsland bis zu acht Monate nach Deutschland geholt werden, sofern das einstellende Unternehmen der Tarifbindung unterliegt. „Gerade für Betriebe aus der Gastronomie und anderen saisonabhängigen Bereichen ist das eine spannende Option, kurzfristig Arbeitskräfte anzuwerben“, hob Kolb hervor.

Aus seiner Sicht hat die Politik in den vergangenen Jahren sehr viel getan, um die Rekrutierung ausländischer Fach- und Arbeitskräfte zu erleichtern – nicht nur beim Einwanderungsgesetz, sondern auch im Rahmen des Staatsangehörigkeitsgesetzes und des Chancen-Aufenthaltsgesetzes. „Das Problem an diesen vielen guten Ideen: Es sind fast zu viele, man blickt nicht mehr durch“, so Kolb. Hinsichtlich der Rahmenbedingungen habe sich viel verbessert, hinsichtlich der Umsetzung bestünden aber zahlreiche offene Fragen, beispielsweise bezüglich der Überprüfung der Berufserfahrung in den Herkunftsländern. „Es gibt keine Instanz, die über Berufserfahrung Buch führt.“

Zentrales Kompetenzzentrum für Fachkräfte geplant

Um den eigenen Weg zu finden, können Unternehmen und Arbeitskräfte im Land Bremen auf verschiedene Beratungsangebote zugreifen. Dazu zählen in erster Linie der Willkommensservice, die Anerkennungsberatung für ausländische Berufsabschlüsse, die Landesagentur für Weiterbildung (Labew+) und die Servicestelle Deutsch am Arbeitsplatz. Um den gesamten Prozess noch transparenter zu machen und das Zusammenspiel zu verbessern, arbeitet der Senat laut Staatsrätin Karin Treu zurzeit am Konzept für ein Welcome Center: „Es soll als zentrales Kompetenzzentrum für Fachkräfte dienen“, kündigte sie an.

Weitere Informationen

Willkommensservice
unternehmensservice-bremen.de/willkommensservice-bremen

Anerkennungsberatung für ausländische Berufsabschlüsse
handelskammer-magazin.de/anerkennung

Landesagentur für berufliche Weiterbildung und Transformation (Labew+)
labew-bremen.de

Servicestelle Deutsch am Arbeitsplatz
handelskammer-magazin.de/deutsch-am-arbeitsplatz

Info-Portal "Make it in Germany"
www.make-it-in-germany.com

Bild oben:
Beim Fachkräftetag 2024 der Handelskammer Bremen erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konkrete Anregungen für die Rekrutierung von ausländischen Fach- und Arbeitskräften.
Foto: Karsten Klama