Die OHB Digital Services und Rhenus Weserport nutzen Satellitennavigation und einen Digitalen Zwilling des Geländes, um den Umschlag von Stahlrollen zu optimieren.
Satellitendaten und Softwarekompetenz für Unternehmen aus anderen Branchen nutzbar machen – das ist das Ziel der OHB Digital Services GmbH, die einen wachsenden Teil des Bremer Raumfahrtkonzerns OHB bildet. Das Unternehmen besitzt selbst keine Satelliten, dafür aber tiefe Einblicke in die technischen Möglichkeiten. „Wir wissen, welche Daten in drei bis vier Jahren verfügbar sein werden“, sagt Geschäftsführer Dr. Arne Gausepohl. „Die Anwendungen dafür können wir schon jetzt bauen.“ Branchen und Themenfelder, die sich dafür anbieten, seien beispielsweise die Landwirtschaft, die Logistik, der Schienenverkehr und kritische Infrastrukturen. Generell sieht Gausepohl in der Nutzung von Satellitendaten einen „Riesen-Wachstumsmarkt“.
Er nennt drei Kategorien von Satellitendaten, die für die Anwendungen in der Wirtschaft besonders interessant sind:
- Erdbeobachtung – beispielsweise präzise, hochaktuelle Luftfotos von wichtigen Anlagen oder Messungen der Bodenfeuchtigkeit auf landwirtschaftlichen Flächen
- Navigation
- Kommunikation
Stahlrollen per Satellit tracken
Großes Potenzial sieht Gausepohl unter anderem in der Logistikbranche. In Bremen arbeitet OHB beispielsweise mit Rhenus Weserport zusammen, um den Umschlag und die Lagerung von Stahlrollen zu optimieren. Traditionell wurden diese Stahlcoils manuell gekennzeichnet, um zu signalisieren, welche Rolle auf welches Schiff soll. Dieser Prozess war aufwändig und fehleranfällig. Die Ausstattung der Coils mit Sendern bietet sich ebenfalls nicht an, da der Aufwand relativ groß wäre.
Die Lösung: OHB hat einen Digitalen Zwilling des Geländes erstellt – eine virtuelle 3D-Welt, die dem Original bis ins Detail gleicht. Statt der Coils werden die Transportfahrzeuge mit Sensoren und Sendern ausgestattet, um im IT-System automatisch zu vermerken, an welcher Stelle eine Rolle aufgenommen und abgelegt wurde. Die Fahrer erhalten die Aufträge auf einem Tablet-PC. So haben sich die Fehler seither fast auf null reduziert.
Weitere Vorteile: Die Lagerflächen lassen sich dynamisch verändern, die Arbeitssicherheit wird erhöht und die Dokumentation automatisiert. Nicht zuletzt kann die Automatisierung auch helfen, den Fachkräftemangel in den Häfen zu lindern, indem das Personal von bestimmten Tätigkeiten entlastet wird.
Anwendungsfälle in weiteren Branchen denkbar
Die Anwendung, die gemeinsam mit Weserport erarbeitet wurde, kann Gausepohl sich auch bei anderen Logistikern mit großen Flächen und unterschiedlichen Gütern vorstellen. Beim Umschlag von Massengütern könnte das System beispielsweise registrieren, welche Menge an Kohle angehoben und abgelegt wird.
Auch die Integration weiterer Satellitendaten ist geplant. Aktuelle Wetterdaten würden einem Automobilwerk helfen, sensible Güter rechtzeitig ins Trockene zu schaffen. Betriebe, die Recyclingmüll umschlagen, könnten von optischen Satellitendaten profitieren, um den Überblick über ihre Lagerflächen zu bewahren. Bis jetzt werden dafür teilweise Drohnen eingesetzt.
Potenziale noch längst nicht ausgeschöpft
Die Möglichkeiten gehen wahrscheinlich noch weit darüber hinaus. „Viele in der Logistik wissen nicht, was Satelliten heute können“, sagt Gauspepohl. „Und wir in der Raumfahrt wissen nicht, was die Herausforderungen der Logistiker sind.“ Er ruft Unternehmen daher auf, sich unverbindlich zu melden. „Wir wollen mehr über die Anforderungen in anderen Branchen lernen. Der Austausch ist für uns extrem wichtig.“
Robuste Software gefordert
Der Bau von Satelliten, mit dem der Konzern groß geworden ist, erfordert auch besondere Kompetenz bei der Entwicklung von stabiler und sicherer Software. „Nachträgliche Fehlerbehebung ist bei Satelliten schwer“, sagt Gausepohl. „Ein Satellit funktioniert oft 15 Jahre, ohne dass ihn jemand anfasst.“ Dieses Wissen werde jetzt auch in Software-Projekten außerhalb der Raumfahrt angewendet.
Ein spezieller Bereich ist dabei das Thema Cybersecurity, das in der Satellitenkommunikation eine besonders bedeutende Rolle spielt. OHB Digital Services sieht eine Aufgabe darin, dieses Thema stärker in den Mittelstand zu tragen, und bietet entsprechende Dienstleistungen unter anderem in Kooperation mit der Sparkasse Bremen für deren Geschäftskunden an.
In Zukunft wird das Thema durch die Entwicklung der Quantenverschlüsselung noch einmal zusätzliche Bedeutung gewinnen. Internationale Konzerne könnten dann verschlüsselt via Satellit mit ihren weltweiten Niederlassungen kommunizieren und sich unabhängiger von lokalen Datennetzen machen.