Seit rund einem halben Jahr ist Oliver Rau als Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Bremen GmbH für das Stadtmarketing und den Tourismus zuständig. Im WiBB-Interview erläutert er die Schwerpunkte, die er setzen möchte.
Herr Rau, Ihre ersten Monate im Amt waren nicht von glücklichen Umständen begleitet. Die Pandemie zieht sich hin, nun ist der Krieg in der Ukraine hinzugekommen – Sie haben sich das wahrscheinlich anders vorgestellt.
Ja, ich bin ja mitten hineingekommen. Bei den Besucherzahlen ging der Pfeil in Bremen 15 Jahre oder länger immer nach oben und dann kam dieser extreme Zusammenbruch. Im letzten Sommer haben wir uns etwas erholt; prozentual gerechnet lief es bei uns sogar besser als in großen touristischen Destinationen wie Berlin oder Hamburg. Aber wir sind natürlich weit von den Rekordwerten aus der Zeit davor entfernt.
Wir hatten jetzt im ersten Quartal noch kompletten Stillstand und wissen nicht, was in der Welt passiert und wie sich das aus auf die Reiselust der Menschen auswirken wird. Wenn man positiv denkt, kann es vielleicht dazu führen, dass die Menschen im Inland bleiben und sich für Kurztrips in Städte wie Bremen und Bremerhaven entscheiden. Das wäre eine Hoffnung in schlechten Zeiten.
Ändert die Situation etwas an der Vorgehensweise im Tourismusmarketing?
Wir müssen mit der Situation umgehen und nicht dem nächsten Übernachtungsrekord hinterherjagen, sondern wir haben jetzt die Chance zu gucken, was wir noch anders justieren können. Das Land Bremen hat 2018 die Landestourismusstrategie 2025 neu aufgesetzt; daran haben 160 Stakeholder mitgearbeitet und einen großen Konsens erzielt. Als die Pandemie kam, hat man aber festgestellt, dass man doch noch ein paar Dinge vergessen hatte, die jetzt nachgearbeitet wurden. Das Thema Digitalisierung fällt zum Beispiel auf einen ganz anderen Nährboden. Dazu gehören auch Sicherheitskonzepte – es fängt bei banalen Dingen an wie dem kontaktlosen Check-in in Hotels.
Das ist aber auch eine gute Entwicklung, weil sie etwas vorzieht, das ohnehin gekommen wäre. Dies gilt auch für die Bemühungen, das Buchen von touristischen Leistungen übers Netz etwas niedrigschwelliger zu gestalten. Wir merken, dass das nachgefragt wird, deswegen haben wir das Thema Digitalisierung auch nachträglich in die Tourismusstrategie aufgenommen. Das breite Feld Nachhaltigkeit spielt im Tourismus ebenfalls noch eine weit wichtigere Rolle, als wir im ersten Entwurf der Strategie gedacht haben.
Durch die steigenden Energiepreise im Zusammenhang mit dem Krieg kann sich das wohl noch weiter verstärken.
Auch ohne Ukraine-Krieg war der Trend schon eindeutig, dass die Menschen sich mehr Gedanken über ihre eigene Umweltbilanz machen. Zum Beispiel beschäftigen sich laut Booking.com die Interessenten bei 85 Prozent der Buchungen mit Nachhaltigkeit – was immer das dann heißt. Da passiert eine ganze Menge, und da sind viele kleine und mittlere Hotels noch gar nicht drauf eingestellt. Aber das Thema wird beschleunigt.
Wie ist der Status der Landestourismusstrategie – soll die Überarbeitung in eine offizielle neue Fassung münden oder ist das ein fortlaufender Prozess?
Es handelt sich zunächst um eine Ergänzung; bis jetzt ist keine Neuveröffentlichung vorgesehen. Wir wollen das Ganze auch erstmal leben.
Ich möchte dabei aber auch etwas wegkommen von der Fixierung auf einzelne Indikatoren wie die Übernachtungszahlen, an denen oft alles gemessen wird. Ich glaube, Tourismus in Bremen ist mehr als 2,4 Millionen Übernachtungen – oder welche Zahl wir gerade erreichen wollen. Ich finde es richtig, sich Ziele zu setzen, und natürlich bedeuten gute Zahlen auch gute Umsätze, aber Tourismus ist weit mehr, und wir müssen uns viel breiter aufstellen als nur auf reine Übernachtungszahlen zu schielen.
Zum Beispiel?
Was bieten wir den Bremen-Touristinnen und -Touristen dauerhaft, damit sie wiederkommen? Marktplatz, Roland, Stadtmusikanten, Böttcherstraße und Schnoor – das ist total wichtig, aber wir wollen ja auch Anlässe schaffen, wiederzukommen.
Was dann auch wieder Einfluss auf das Selbstwertgefühl der Bremerinnen und Bremer hat. Das ist auch eines der Themen, an denen wir arbeiten – das Identitätsmarketing, also: Was macht Bremen für die Bremerinnen und Bremer attraktiv? Und was tun wir dafür – sowohl im Zentrum als auch in den Stadtteilen? Das sind Themen, über die ich mich sehr intensiv mit den Kolleginnen und Kollegen austausche. Das machen wir in enger Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsressort.
Ein weiteres superwichtiges Thema ist das Fachkräftemarketing. Da machen wir schon eine ganze Menge, zum Beispiel den Unternehmensservice Bremen im Schulterschluss mit der Handelskammer und anderen Akteuren. Oder den Dual Career Service, damit Fachkräfte auch für ihre Partnerinnen und Partner einen passenden Arbeitsplatz finden, wenn sie nach Bremen oder Bremerhaven kommen. Und aus der Wirtschaft selbst kommt die Initiative „Unternehmen für Bremen“, mit der wir uns austauschen. Grundsätzlich müssen wir noch mehr Bremerinnen und Bremer ins Boot holen, die erzählen, wie gerne sie hier leben – damit die Stimme lauter wird.
Können Sie weitere Maßnahmen nennen, die aktuell geplant sind?
Wir begleiten auch Aktivitäten in der Innenstadt, zum Beispiel im Rahmen des Aktionsprogramms Innenstadt. Im Geschäftsbereich von Andreas Heyer wollen wir die Concept Stores fortführen und den immobilienwirtschaftlichen Dialog mit den Eigentümern vertiefen. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Bahnhof: Wie kann dieses Einfallstor nach Bremen attraktiver gestalten werden? Wir starten in diesem Jahr eine große Kampagne zusammen mit der Deutschen Bahn, um Bremen als attraktives Bahnreiseziel zu bewerben. Parallel dazu werden wir auch ein neues touristisches Leitsystem etablieren, sowohl digital mit der Bremen App als auch klassisch mit neuen Stelen. Auch mit der CityInitiative arbeiten wir zusammen, beispielsweise rund um das tolle Projekt „Lichter der City“, das wiederholt und verlängert werden soll.
Sprechen wir über Ihren alten Arbeitgeber, Werder Bremen. Wird es künftig eine engere Zusammenarbeit geben? Immerhin führt der Fußball ja auch zahlreiche Menschen in die Stadt, die nicht alle Hooligans sind.
Ich bin gerade zweiter Geschäftsführer der Bremer Weserstadion GmbH geworden, was die Beziehungen natürlich noch einmal vertieft. Hans-Jörg Otto macht das seit dem 1. Februar hauptamtlich; ich bin jetzt derjenige, der für die Stadtperspektive den Hut aufbekommen hat – das war übrigens für diese Geschäftsführerposition bei der WFB schon vorgesehen, bevor ich gekommen bin. Nebenbei vertrete ich mein grün-weißes Herz auch als gewählter Vertreter im Ehrenrat von Werder.
Die Verknüpfung zwischen Werder und dem Stadtmarketing ist und war natürlich eng; bei Heimspielen sind die Hotels in der Innenstadt immer gut ausgebucht. Wir wollen die Zusammenarbeit aber wieder verstärken und dabei kann ich natürlich hilfreich sein. Wir werden da sicher Wege und Ideen finden, um das Bremen-Marketing gemeinsam zu stärken.
Darüber hinaus haben Sie schon angekündigt, dass Sie gerne mehr große Sport-Events in Bremen sehen würden. In welche Richtungen könnte das gehen?
Ich bin im Sport sozialisiert worden und weiß, welche Bedeutung er hat, um Menschen zusammenzubringen. Sport kann das leisten, was wir in der Wirtschaftsförderung oder dem Tourismus den ganzen Tag machen: Leute veranstaltungsbezogen an einen Standort holen. Früher hatten wir zwischen Weihnachten und Neujahr immer ein großes internationales Volleyballturnier mit den besten Nationalmannschaften der Frauen. Auch die Sixdays sind toll, zumal sie in eine Jahreszeit fallen, in der sonst touristisch nicht viel los ist. Die WFB besitzt ja auch einen Fördertopf für Sportveranstaltungen, aber ich bin der Meinung, dass wir aktuell noch zu sehr mit der Gießkanne fördern – wir sollten uns mehr auf größere Veranstaltungen konzentrieren. Ideal wäre in jedem Quartal ein großes Event. Ich glaube zudem, dass die Stadt Bremen einen zweiten Profi-Verein in einer der größeren Sportarten vertragen könnte.
Sie setzen sich auch für neue digitale Angebote ein, unter anderem im Bereich Virtual Reality. Was können wir da erwarten?
Ganz konkret sind im Moment die Gespräche über das Angebot von Stadtführungen, bei denen man sich zum Beispiel mit einer Brille vor das Rathaus stellen könnte und dann sieht, wie es gebaut wurde. Das ist schon ziemlich abgefahren und auf jeden Fall eine Idee, die man umsetzen kann. Anlässlich des Lockdowns haben wir auch virtuelle Stadtrundgänge mit 360-Grad-Ansichten umgesetzt – das ersetzt niemals die Reise, macht aber vielleicht im Vorfeld Lust auf den Besuch. Aktuell überlegen wir außerdem, wie wir die Tourismusinformationen in der Innenstadt und am Bahnhof neu und digitaler gestalten können. Das hängt aber auch davon ab, wie es mit dem Stadtmusikantenhaus weitergeht. Das könnte ein moderner neuer Anlaufpunkt für Touristen und Gruppenreisen werden, mit Terminals für Ticketkäufe und Informationen oder einem virtuellen Imagefilm über Bremen. Da sind wir aber wohl eher im Jahr 2024.
Infos zur Tourismusstrategie:
tourismusstrategie-bremen.de