Die Industriehäfen sowie der Holz- und Fabrikenhafen bilden zusammen nicht nur Deutschlands südlichsten Universal-Seehafen: „Die Häfen sind immer noch das Herz unserer Stadt“, sagt Dr. Heiner Heseler, Geschäftsführer der Initiative Stadtbremische Häfen (ISH).
Eine Fahrt durch den Holz- und Fabrikenhafen und dann entlang der „Waterfront“ in den Industriehafen trägt die Züge einer Zeitreise. Denn in der historischen Kulisse eines traditionellen Stück- und Massenguthafens ist eine moderne maritime Wirtschaftsstruktur zu Hause. Von der „Alten Feuerwache“ führt der Weg über das Fabrikenufer an Hafenschuppen, mehrgeschossigen Lagerhäusern und Silos, einem Kühlhaus und beeindruckenden Containerstapeln vorbei bis zur Getreideverkehrsanlage. Gleich hinter der „Waterfront“ schließt sich in Richtung Norden der Industriehafen an. An dessen sieben Hafenbecken heben große Greifer und Kräne Stahlprodukte, Erz und Kohle aus und in die Schiffsbäuche. Unmittelbar neben der Kaikante haben zudem rund 50 Unternehmen ihren Sitz. Viele von ihnen verarbeiten das, was auf den benachbarten Kajen angelandet wird, oder exportieren ihre Produkte von hier aus in alle Welt.
Dr. Heiner Heseler gehört zu denen, die sich in diesem Gebiet bestens auskennen. Nach mehr als zwei Jahrzehnten in der Wissenschaft und 15 Jahren in der Landespolitik könnte der 73-Jährige längst den verdienten Ruhestand genießen. Doch stattdessen engagiert er sich als Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Stadtbremische Häfen unter anderem für die Belange der Betriebe am Ostufer der Weser. In ihnen wird etwa die Hälfte der in der Stadt Bremen umgeschlagenen Ladung bewegt.
Als Treffpunkt für das Gespräch über die heutige Bedeutung der stadtbremischen Häfen hat Heseler einen symbolträchtigen Ort gewählt. Das Lloyd Rösterei Café liegt an der Wasserseite des historischen Kaffee-HAG-Werksgeländes im Holz- und Fabrikenhafen. Entkoffeinierter Kaffee wird hier schon lange nicht mehr hergestellt; ein Investor hat das Areal übernommen und restauriert die Gebäude, die ein Denkmal der großen und langen Bremer Kaffee-Tradition sind. „So langsam kehrt hier wieder Leben ein“, freut sich Heseler, bezieht das aber nicht nur auf das HAG-Gelände: „Es ist schön, dass jetzt wieder Besucher in den Hafen kommen und wahrnehmen, was hier alles los ist.“
Bedeutung für die Wirtschaft in Deutschland und Europa
Nach den Anschlägen auf das World-Trade-Center vor 20 Jahren waren weltweit die internationalen Häfen zu Sicherheitsgebieten erklärt worden. In Bremen endete damit die Tradition des Wochenendausfluges „Schiffe gucken“. Und während gleich nebenan aus dem Überseehafen die Überseestadt wurde, verbreitete sich der Eindruck, in den Häfen sei nichts mehr los. Doch tatsächlich pulsiert in der Nachbarschaft des HAG-Geländes das wirtschaftliche Leben wie nie zuvor. Im Holz- und Fabrikenhafen haben unter anderem das Logistikunternehmen Vollers – einer der führenden deutschen Kaffee-, Kakao- und Teeimporteure – sowie der Spezialist für Getreide und Futtermittel J. Müller-Weser ihren Sitz. Müller hat vor wenigen Jahren die Getreideverkehrsanlage – das weithin sichtbare Symbol des Hafens – mit ihren 135.000 Tonnen fassenden Silos gekauft und wieder aktiviert. „Beide Unternehmen stehen stellvertretend dafür, dass die stadtbremischen Häfen nicht nur für die Stadt selbst, sondern für die Wirtschaft in Deutschland und teilweise auch in Europa eine enorme Bedeutung haben“, betont Heseler.
Das gilt auch für den nördlich der Waterfront gelegenen Industriehafen. Kern des Umschlagbetriebs sind die Aktivitäten im Rhenus Weserport. Das Gemeinschaftsunternehmen des Logistikkonzerns Rhenus und des Stahlproduzenten ArcelorMittal Bremen schlägt nicht nur Erz und Kohle für das benachbarte Stahlwerk sowie dessen Produkte um – hier werden auch die Rohstoffe und Produkte für zahlreiche andere Unternehmen im Binnenland angelandet. Allein 2020 waren es insgesamt 5,8 Millionen Tonnen. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Umschlag von Mineralöl und Ölprodukten. Diersch & Schröder, einer der großen Bremer Konzerne, hat seinen Hauptsitz im Holz- und Fabrikenhafen und betreibt mehrere Tanklager in den stadtbremischen Häfen.
„Logistikstandort par excellence“
Mindestens genauso wichtig ist das Geschehen unmittelbar hinter der Kaikante. Eine Vielzahl der dort ansässigen Firmen hat einen engen Bezug zur Schifffahrt, zum Beispiel die Container-, Stauerei- und Verpackungsspezialisten von Friedrich Tiemann & Sohn. Andere – wie die Bremer Holzwerke – haben sich auf die Verarbeitung von per Schiff angelieferten Materialien spezialisiert. Oder sie bauen – wie die CHS-Container Group – Spezialcontainer für vielfältige Verwendungen um. Ein weiteres Standbein ist die Entsorgungswirtschaft: Unter anderem betreibt Nehlsen hier eine europaweit einmalige Anlage für die Wiederaufbereitung belasteter Metallreste; „Die stadtbremischen Häfen sind ein großes und wichtiges Industriegebiet“, fasst Heseler die Bandbreite zusammen.
Die Zeitreise durch Vergangenheit und Gegenwart ist für Heseler längst Alltag. Genau deshalb steht für ihn außer Frage, dass der Holz- und Fabrikenhafen sowie der Industriehafen eine lange und große Zukunft vor sich haben. Deren gute Perspektive führt Heseler neben dem breiten Spektrum der wirtschaftlichen Unternehmungen auf die perfekte geografische Lage des südlichsten deutschen Seehafens zurück: „Wir liegen genau in der Mitte der drei großen deutschen Containerhäfen Bremerhaven, Hamburg und Wilhelmshaven“, erläutert der ISH-Geschäftsführer, „dank seiner guten Erreichbarkeit auf dem Wasserweg, über die Straße und auf der Schiene ist dies ein Logistikstandort par excellence.“