In der Pflege ist der Personalmangel für die Betroffenen besonders sicht- und spürbar. Bremer und Bremerhavener Pflegedienstleister verfolgen vielfältige Ansätze, um die Versorgung sicherzustellen.
Der Versorgungsmangel in der Pflege ist längst kein individuelles Schicksal mehr, sondern betrifft viele Familien – und damit auch viele Unternehmen. „Wir müssen täglich Anfragen aus Kapazitätsgründen ablehnen und hören von pflegenden Angehörigen immer häufiger verzweifelt die Aussage, dass sie auch mittelfristig keine Unterstützung finden und mit der Pflege-Situation absolut überfordert sind“, berichtet Jürgen Weemeyer vom Pflegedienst Vacances. Dies könne bei den Angehörigen natürlich auch zur Reduzierung der Arbeitszeit führen. „Wenn der Mitarbeiter bei Mercedes seine Mutter zu Hause versorgen muss, steht die Produktion still.“
Aus dem lange bekannten Personalmangel sei inzwischen ein handfester Angebotsmangel geworden, bestätigt Carsten Adenäuer vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (BPA). Private Pflegeanbieter stellen einen großen Teil der Versorgungsstrukturen in Bremen, mit steigender Tendenz. Laut Landespflegebericht ist der Anteil der Einrichtungen in privater Trägerschaft seit 1999 von 28 Prozent auf mehr als 40 Prozent gestiegen. Die Zahl der Plätze für vollstationäre Dauerpflege in privaten Einrichtungen lag im Jahr 2022 bei rund 3.400 und machte damit einen Anteil von 57 Prozent aus.
Zuwanderung muss erleichtert werden
Als wichtigsten Hebel, um mehr Menschen in die Pflege zu bringen, sieht der Verband die beschleunigte Zuwanderung. „Da das Beschäftigungswachstum in der Pflege laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung inzwischen ausschließlich von ausländischen Beschäftigten getragen wird, müssen Pflegefachkräfte aus dem außereuropäischen Ausland, die eine dreijährige Ausbildung oder ein dreijähriges Studium erfolgreich absolviert haben und ausreichend Deutsch sprechen, automatisch als Pflegefachkräfte anerkannt werden“, fordert Adenäuer. „Eventuell notwendige Prüfungen und Anpassungsmaßnahmen können nachgelagert erfolgen. Das nennen wir die Kompetenzvermutung.“
Darüber hinaus sei die Rückkehr zur klassischen Altenpflegeausbildung zu prüfen, da sie kontinuierlich für ein deutliches Plus an Auszubildenden gesorgt habe, während die neue generalistische Ausbildung die Erwartungen nicht erfüllt habe. Und nicht zuletzt spielten auch verlässliche Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle: schlankere Verhandlungen mit den Kostenträgern und zeitnah bezahlte Rechnungen. „Gerade kleine Pflegedienste können nicht monatelang in Vorleistung gehen, weil eine Behörde mit ihrer Arbeit nicht nachkommt“, so Adenäuer.
Langfristige Ansätze benötigt
Viele Pflegedienste bewegen sich im Alltag zwischen dem Wunsch nach grundlegenden Reformen des Systems, damit die Ursachen und nicht mehr nur die Symptome bekämpft werden, und den konkreten Maßnahmen, die sie selbst zur Verbesserung ihrer Lage umsetzen können. Ausbildung und Qualifizierung sind eine wichtige Option, allerdings arbeiten die unflexiblen Finanzierungsmodelle auch manchmal gegen die Umsetzung nachhaltig wirkender Ansätze. Der Fachkräftemangel sei selbst nur ein Symptom der unzulänglichen Gesetzeslage, die grundlegend reformiert werden müsse, betont Sven Mensen vom Pflegedienst Lilienthal.
„Stellen Sie sich unser System wie ein Auto mit einem Motorschaden vor – anstatt den Motor zu reparieren, versuchen wir neue Reifen aufzuziehen und den Lack zu polieren, in der Hoffnung, dass das Fahrzeug wieder fährt“, sagt er. „Unser Ansatz muss tiefer gehen. Kleine Reformen, wie sie bisher angedacht sind, reichen nicht aus.“
Positiv sei, dass es bereits viele Experten gebe, die zukunftsweisende Ansätze verfolgen. „Leider erreichen diese Ideen oftmals nicht die Entscheidungsträger“, so Sven Mensen. Ein konkretes Beispiel: „Wir handeln stark nach den Vorgaben des Sozialgesetzbuchs §11, das ursprünglich für die Angehörigenpflege konzipiert wurde. Diesen Rahmen für die hochprofessionelle Fachpflege auf internationalem Niveau zu nutzen, ist schlicht ungeeignet. Solange wir versuchen, Fachpflege in einen Paragraphen zu zwängen, der für die Pflege durch Angehörige gedacht ist, werden wir keine nachhaltige Entwicklung des Berufs und der Versorgung unserer Patienten erreichen.“
Pflegeanbieter stoßen an finanzielle Grenzen
Durch die punktuelle Behandlung von Symptomen wird auch die finanzielle Lage der Pflegebetriebe nicht besser, sondern eher schwieriger. „Die Gehälter des Pflegepersonals werden erhöht – das ist gut, aber löst keine strukturellen Probleme“, sagt Mensen. „Als Unternehmen haben wir kaum Budget und damit keinen Spielraum, um echte Veränderungen umzusetzen.“
Im Alltag setze sein Pflegedienst beispielsweise zunehmend ungelernte Kräfte ein, was den Beruf deprofessionalisieren könne. „Dennoch tragen wir Verantwortung für diese Mitarbeitenden und unsere Kunden“, betont er. „Um sie richtig einzuarbeiten und zu integrieren, bräuchten wir Zeit und Mittel – etwa durch eine spezielle Position wie einen Praxisanleiter für Pflegehilfskräfte. Doch solche Stellen werden nicht refinanziert und bleiben daher unrealistisch.“
Diese strukturellen Engpässe wirkten sich direkt auf die Pflegekrise aus, sagt er: „Fehlende Mittel zur Qualifizierung und Einarbeitung verschärfen den Fachkräftemangel und führen zu einer geringeren Versorgungsqualität. Unsere Unternehmen tragen die Last, ohne die nötige Unterstützung, um Veränderungen wirklich voranzutreiben. Damit bleibt der Mangel ungelöst – was letztlich die gesamte Branche destabilisiert und die Pflegekrise weiter verschärft.“
Zahl der Ausbildungsplätze von einem auf 40 gesteigert
Um das Beste aus der aktuellen Situation zu machen, hat der Pflegedienst Lilienthal in den vergangenen fünf Jahren die Zahl seiner Ausbildungsplätze von einem auf fast 40 erhöht. „Unser Fokus liegt auf einer gerechten und praxisnahen Ausbildung, die dazu führt, dass viele Azubis nach ihrer Ausbildung bleiben“, berichtet er. „Wir leben einfache Prinzipien: Kommunikation auf Augenhöhe, Transparenz und Ehrlichkeit im täglichen Miteinander.“
Ein wichtiger Punkt sei auch die Unterstützung der Pflegedienstleitung, die oft als „eierlegende Wollmilchsau“ gefordert werde. „Wir müssen hinterfragen, ob dieses klassische Modell noch zeitgemäß ist oder ob Verantwortung stärker im Team verteilt werden sollte – wie etwa im Buurtzorg-Modell in Holland, das allerdings durch Tarifstrukturen hier kaum umsetzbar ist. Unsere Erfahrung zeigt: Eine gut funktionierende Teamleitung sorgt für zufriedene Teams – und das ist entscheidend für den Umgang mit dem Pflegenotstand.“
„Die Digitalisierung in der Pflege ist alternativlos“
Auch Thomas Heinrich, CEO des Pflegedienstleisters Herzbegleiter, sieht den Bedarf für langfristige Lösungen. Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland werde bis 2030 von aktuell 5 Millionen auf 6 Millionen steigen, sagt er, und parallel werde auch die Zahl der unbesetzten Arbeitsplätze in der Branche von 200.000 auf 500.000 explodieren. „Die Digitalisierung in der Pflege ist alternativlos“, schließt er daraus, denn ohne sie sei diese klaffende Lücke nicht zu kompensieren.
Auf elektronischem Wege lasse sich beispielsweise die Mitarbeiterschulung schneller umsetzen. Auch könnten digitale Beratungsleistungen angeboten werden, wenn bei der Pflege konkrete Fragen auftauchen, sowohl von Fachkräften als auch von pflegenden Angehörigen. Diese Hotlines und Schulungsangebote könnten wiederum von erfahrenen Fachkräften betrieben werden, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbst die Pflegebedürftigen betreuen können.
Eine bessere Beratung werde auch helfen, Krankenhauseinweisungen zu verringern und dem Gesundheitssystem damit viele Milliarden Euros zu sparen. Die Herzbegleiter haben inzwischen eine App entwickelt, die der erste Schritt auf dem Weg zu umfassenden digitalen Angeboten werden soll.
Der Pflegedienst versorgt mittlerweile täglich mehr als 1000 Pflegedürftige an mehreren Standorten in Bremerhaven, Bremen, Hamburg und Niedersachsen. Die pflegerechtlichen Bestimmungen seien in jedem Bundesland anders, kritisiert Thomas Heinrich, was die bürokratischen Hürden unnötig in die Höhe treibe. Er regt unter anderem an, Pflegekräften mehr Tätigkeiten zuzugestehen. Im Moment seien die Regelungen teilweise nicht nachvollziehbar: „Pflegende Angehörige dürfen alles, aber wenn ein Pflegedienst beteiligt ist, dürfen die gleichen Tätigkeiten nicht von den Pflegehilfskräften ausgeführt werden“, sagt er.
Zugang zur Ausbildung vereinfachen
Jürgen Weemeyer vom Pflegedienst Vacances plädiert dafür, die Zahl der Fachkräfte zu steigern, indem auch Interessierten mit geringerem Schulabschluss die dreijährige Ausbildung zur Fachkraft – früher Altenpflegekraft – ermöglicht wird. Darüber hinaus würden bessere Qualifikationschancen für Pflegeassistenten mit modularer und berufsbegleitender Struktur benötigt – unter Berücksichtigung der individuellen Lebenssituation mit Blick auf Faktoren wie Sprachkenntnisse, Schulabschluss, Prüfungsängste und finanzielle Situation. „Interessierte müssen es sich auch leisten können und den Nutzen erkennen, sich weiterzubilden“, fordert er.
Allerdings wirbt er auch für eine andere öffentliche Diskussion über den Beruf. „Wenn es um Pflege geht, werden oft nur die ‚vermeintlichen‘ negativen Aspekte in den Vordergrund gestellt“, kritisiert er. „Dabei gibt es so viele positive Punkte, die den Beruf attraktiv machen. Wir müssen ein positives Image der Pflege in den gesellschaftlichen Vordergrund stellen, damit auch in Zukunft die Versorgung sichergestellt werden kann.“
Derzeit werde in der Regel über Arbeitsüberforderung, Zeitdruck, schlechte Bezahlung und Unterbesetzung berichtet. „Wir haben einen tollen Beruf, in dem wir viel Positives bewirken und leisten, und in dem es vielfältige Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Genau darüber sollten wir auch ebenso intensiv berichten.“